Drachenspiele - Roman
Amerika. Hier gelten andere Gesetze. Die müssen wir respektieren, ob sie uns gefallen oder nicht. Wir sind hier Gäste und haben uns wie solche zu verhalten.«
»Ich verstehe, dass Sie sich groÃe Sorgen machen. Das tue ich auch«, versuchte Paul ihn zu beruhigen. »Aber in diesem Fall ging es um ein Verbrechen. Das kann Ihnen nicht gleichgültig sein.«
»Was wir darüber denken, ist nicht relevant. Warum begreifen Sie das nicht? Wie hier mit Verbrechern umgegangen wird, ist eine Angelegenheit der Chinesen und nicht Ihre. Wenn sie die kleinen Gauner hinrichten und die GroÃen laufen lassen, sollen sie das machen. Wenn sie ihre Luft, ihre Ãcker, ihre Flüsse vergiften, ist das ihre Sache. Irgendwann haben die Leute die Schnauze voll und werden sich wehren.«
»Oder auch nicht.«
»Oder auch nicht, richtig. Aber selbst dann geht es Sie, Herr Leibovitz, nichts an. Ich lebe, wie Sie wissen, seit Jahren
in China, mache hier blendende Geschäfte und habe noch nie Probleme gehabt. Zumindest keine, für die wir nicht schnell eine Lösung gefunden haben. Offiziell oder inoffiziell. Ahnen Sie, warum? Weil ich mich an die Spielregeln halte. Weil ich mich nicht einmische.«
Paul wusste wieder, warum ihm der Mann auf Anhieb unsympathisch gewesen war. Dieser kühlen Argumentation fühlte er sich unterlegen, es war eine Logik, die ihn nicht überzeugte, der er am Ende jedoch nichts anderes entgegenzusetzen hatte als ein Gefühl.
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, behauptete Paul. »Ich habe die Sache nicht im Internet veröffentlicht.«
»Im Internet?« Weidenfeller schaute ihn verwirrt an.
»Yin-Yin hat die Geschichte ihrer Mutter und unserer Recherchen aufgeschrieben und anonym ins Internet gestellt. Hat sie Ihnen davon etwa nichts erzählt?« Paul sah, wie tief ihn der letzte Satz traf. Weidenfeller schluckte mehrmals, seine Lippen zuckten unkontrolliert.
»Nein, mir nicht, aber Ihnen ganz offensichtlich«, erwiderte er leise. »Und trotzdem haben Sie nichts dagegen unternommen?« Er stand auf, ging zur Hausbar, drehte Paul den Rücken zu, goss sich noch einen Whiskey ein, leerte das Glas in einem Zug und schenkte nach. »Ich fasse es nicht«, murmelte er halblaut zu sich selbst. »Ich fasse es nicht.«
Danach sagten sie lange nichts.
Ein Klingeln übertönte ihr Schweigen.
Paul fuhr zusammen. »Erwarten Sie noch jemanden?«, fragte er misstrauisch.
»Eigentlich nicht«, sagte Weidenfeller überrascht und ging zur Tür.
Paul stand auf und folgte ihm. Sie hörten den Fahrstuhl, er hielt in einem der unteren Stockwerke, Männerstimmen
drangen zu ihnen empor. Sie hörten, wie sich die Lifttür schloss, der Lift sich näherte und mit einem Ruck zum Stehen kam. Heraus trat Xiao Hu. Er war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. »Ein Meeting ist ausgefallen, ich kam schon früher aus dem Büro weg«, erklärte er fast entschuldigend, als er die erstaunten Gesichter sah.
»Warum hast du nicht angerufen?«, fragte Weidenfeller irritiert.
Xiao Hu zuckte mit den Schultern. »Störe ich?«
»Nein, gar nicht. Komm rein. Was möchtest du trinken?«
»Einen Whiskey auf Eis. Einen doppelten.«
Weidenfeller bereitete wortlos den Drink zu, es war so still, dass Paul das Knacken der Eiswürfel vernahm, über die der warme Whiskey floss.
Xiao Hu lieà sich auf das zweite Sofa fallen, sein Blick wanderte von einem zum anderen, er nahm das Glas und trank einen groÃen Schluck. »Meine Schwester hat eine groÃe Dummheit begangen.«
»Ich weië, warf Weidenfeller ein. »Leibovitz hat es mir gerade erzählt. Und du glaubst es nicht: Er hat es gewusst.«
Xiao Hu schaute ihn ungläubig an. Paul nickte.
»Ihnen war klar, was meine Schwester vorhatte?«
Paul nickte erneut.
»Und«, Xiao Hu sprach langsam und betonte jeden Laut sorgfältig, »das haben Sie zugelassen?«
»Was hätte ich machen sollen?« Rausgerutscht. Ein Satz, der wie ein Verrat an Yin-Yin klang. Als hätte er etwas machen wollen . Als hätte er auch nur den leisesten Zweifel an der Richtigkeit ihres Handelns gehabt. Sie schafften es tatsächlich, dass er sich zu rechtfertigen begann.
»Sie hätten mir Bescheid sagen können. Zum Beispiel«, antwortete Xiao Hu bissig.
»Warum?«, entgegnete Paul wütend, mehr über sich als über
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