Drachenspiele - Roman
zwischen Bett und Wand flach auf den Boden, Gesicht nach unten, und rühren sich nicht. Wenn wir das Zimmer verlassen haben, zählen Sie bis hundert und wieder zurück, bevor Sie irgendetwas unternehmen. Wenn Sie klug sind, bis zweihundert. Wenn Sie so klug sind, wie ich Sie einschätze, tun Sie so, als wäre nichts gewesen, und verlassen das Zimmer heute nicht mehr. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja.«
Er war kein Held, und dies kein Film, in dem ihm mit ein paar Schlägen und Tritten die Flucht gelingen würde. Er tastete sich zurück ins Bad, das Licht genügte gerade, um nicht noch einmal gegen den Türrahmen zu laufen. Sobald er mit den Akten wieder im Zimmer war, machte der Mann die Lampe aus. Paul hörte, wie der Stapel Papiere mit einem klatschenden Geräusch auf der Bettdecke landete.
»Sehr gut. Nun legen Sie sich hin.«
Paul ging auf die Knie und kroch in die Nische zwischen Bett und Wand; sein Herz pochte so heftig, dass es in der Brust wehtat und er das Gefühl hatte, keine Luft zu kriegen. Er hörte mehrere Männer aufstehen, sah eine Taschenlampe aufscheinen. Sie nahmen die Dokumente, und wenige Sekunden später waren sie aus dem Zimmer.
Er blieb lange in der Dunkelheit liegen, ohne sich zu bewegen. Sein Herzschlag beruhigte sich allmählich, der Rücken begann zu schmerzen, trotzdem wollte er nicht aufstehen. Das Spiel war aus. Er gab auf. Er wollte zu Christine. Er war den Meistern der Grauzonen nicht gewachsen. Er sehnte sich nach einer Welt in SchwarzweiÃ. Xiao Xin. Kleines Herz. Irgendwann klingelte sein Mobiltelefon. Paul erhob sich, kroch an der Wand entlang in den Flur bis zur Tür. Er stand auf, öffnete sie, hob seine Zimmerkarte auf, machte Licht. Das Handy zeigte einen verpassten Anruf: Christine.
Es kostete ihn seine ganze verbliebene Kraft, sich nichts anmerken zu lassen. Angst und Anspannung waren das Letzte, was einer Schwangeren gut tun würde, helfen konnte sie ihm ohnehin nicht; auÃerdem war er überzeugt, dass sie nicht alleine am Telefon waren. Paul erzählte ihr in seiner Aufregung nun doch von den Vorwürfen gegen Yin-Yin und dass sie im Augenblick wohl nichts machen könnten, dass er morgen früh noch einmal zu Da Long fahren und entweder am Abend, spätestens am nächsten Morgen einen Flug zurück nach Hongkong nehmen wollte.
Christine schöpfte keinen Verdacht. Sie war so mit sich und ihrer Schwangerschaft beschäftigt, dass sie sich über Yin-Yins Verhaftung zwar kurz aufregte, dann aber aus dem Büro und vom Abendessen mit ihrer Mutter und Josh erzählte. Paul hörte kaum zu, er begann zu frieren, stellte die Klimaanlage auf »Heizung«, lieà heiÃes Wasser in die Badewanne und ging zwischen Schreibtisch und Bett auf und ab. Als sie endlich aufgelegt hatten, zog er sich aus und stieg in die Wanne. Doch die Enge des Bads und seine eigene Nacktheit waren ihm unerträglich, also zog er sich wieder an. Er lauschte jedem Geräusch nach, ihm graute vor der Nacht allein in diesem Zimmer, und er überlegte kurz, ob er sich in die Lobby
setzen sollte. Stattdessen knipste er sämtliche Lampen an, schaltete den Fernseher ein und stellte ihn so laut, dass er auch auf dem Flur zu hören war. Er hatte kalte Hände und FüÃe und fror erbärmlich, selbst dann noch, als er sich mit beiden Decken zugedeckt hatte. Er zappte von Sender zu Sender und blieb bei einem Tennisspiel in einem groÃen Stadion hängen. Als der Sieger nach dem Matchball vor Freude schrie und auf die Knie sank, fing Paul zu weinen an. Die Tränen liefen ihm in Strömen über die Wangen, er drehte sich zur Seite, umklammerte ein Kissen und weinte, bis er vor Erschöpfung einschlief.
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Der Fahrer setzte ihn auf dem sandigen Dorfplatz ab. Paul bat ihn, nicht in den nächsten Ort zu fahren, sondern zu warten. Es würde nicht lange dauern, eine Stunde vielleicht, maximal. Er hatte am frühen Morgen mehrmals versucht, Da Long zu erreichen, um sein Kommen anzukündigen, doch das Telefon wurde nicht abgenommen. Vielleicht war der Akku leer, oder Da Long hatte es über Nacht ausgeschaltet und vergessen, es wieder anzustellen.
Paul ging mit eiligen Schritten durch die Gassen, er musste sich beherrschen, um nicht zu rennen. Das Gespräch wollte er so schnell wie möglich hinter sich bringen, und dann nichts als fort. Er wusste nicht, wie er es Da Long erklären sollte, was er ihm
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