Drachenspiele - Roman
von den lauten, überfüllten chinesischen Restaurants, in denen Christine sonst zu Mittag aÃ.
Paul bemerkte ihre Irritation.
»Gefällt es dir hier nicht?«
»Doch, doch.«
Ihre Stimme verriet ihm, dass sie nicht die Wahrheit sagte.
»Sollen wir woanders hingehen?«
»Nein, nein.«
Sie bestellten Rote-Beete-Suppe mit Tofu und zwei Auberginenaufläufe, Wasser, Tee und für Paul einen frischen Saft.
»Der Koch lebt auf Lamma«, sagte er, um sie auf andere Gedanken zu bringen. »Er hat mir erzählt, dass die Kellnerinnen,
Putzfrauen und Küchenhilfen hier alle ohne Bezahlung arbeiten.«
»Dann müssen sie reiche Männer haben«, entgegnete Christine trocken.
Sie saÃen sich schweigend gegenüber, und er spürte wieder diese innere Unruhe in sich aufsteigen. Etwas stimmte nicht mit ihr. Am Telefon hatte sie es überspielen können, aber nicht, wenn er ihr gegenübersaÃ. Er sah es in ihren Augen. Wie sie seinem Blick auswich, wie sie auf den Tisch starrte oder an ihm vorbei die Wand betrachtete. Er sah es in ihrem Gesicht, die Lippen waren zu schmal, die kleinen Falten um die Mundwinkel zu tief. So sah sie nicht aus, wenn es ihr gut ging.
Er scheute sich zu fragen. Er fürchtete, sie könnte antworten, alles sei in Ordnung. Er wollte nicht belogen werden.
»Christine?« Er hoffte, die Art, wie er ihren Namen aussprach, wäre Frage genug.
Sie sah ihn an, ohne zu antworten.
Das Schweigen wurde ihm von Sekunde zu Sekunde unangenehmer. »Was ist â¦Â«
»Nichts ist«, unterbrach sie ihn und hielt inne. »Oder doch, ganz viel.«
Sie holte Luft und vergrub ihr Gesicht in den Händen: »Ich weià nicht, wie ich es dir erklären soll.«
Sie hatte plötzlich Tränen in den Augen.
War das der Moment? Paul hatte das Gefühl, sich irgendwo festhalten zu müssen. Ihm war, als hätte jemand eine Weste aus Blei über seinen Körper gestülpt, so schwer fühlte er sich. Hatte sie sich in jemanden verliebt? War ihr Ehemann zurückgekehrt? Oder war sie ohne sein Wissen beim Arzt gewesen und hatte diesen furchtbaren, keinen Trost kennenden Satz gehört: »Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen â¦Â« Er war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Ich brauche Zeit«, sagte sie nach einer unendlich langen Pause. »Ich brauche etwas Abstand.«
So klingt der Anfang vom Ende, dachte Paul.
»Was ist zwischen uns passiert?«
»Nichts.«
»Nichts?« Er hatte die Stimme erhoben. Die Gäste an den anderen Tischen drehten sich nach ihnen um.
»Vor vier Wochen haben wir auf meiner Terrasse gesessen und überlegt, ob wir zusammenziehen sollen, und jetzt brauchst du plötzlich Abstand. Warum â¦Â« Er wollte aufstehen, zur Fähre, nach Lamma. Einfach weg.
»Bitte geh nicht«, sagte sie leise und griff nach seiner Hand.
Paul zögerte. Er versuchte sich zu beruhigen und schloss die Augen. Er spürte sein Herz rasen.
»Ich liebe dich, Paul.« Ihre Stimme. Weit weg. Verzweifelt. »Es ist nicht, wie du denkst.«
»Was denke ich denn?«
»Dass ich mich in einen anderen Mann verliebt habe.«
Er öffnete die Augen. »Woher weiÃt du das?«
»Weil das bei Männern immer der erste Gedanke ist.«
Er schwieg einen Moment. »In eine Frau?«
»Nein.«
»Warum sagst du dann, dass du Abstand haben willst? Bin ich dir zu viel?«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
»Ist mein Liebeshunger zu gro�«
»Nein.« Ein Lächeln flog über ihr Gesicht.
»Warum möchtest du dann mehr Distanz?«
»Deinetwegen.«
»Meinetwegen?« Er sah sie verständnislos an.
»Ich habe einfach Angst, ich könnte dich...« Sie sprach nicht weiter.
»Verletzen?«, beendete er ihren Satz.
»Nein.«
»Verlassen?«
»Nein. Umbringen.«
»Was hast du gesagt?« Er glaubte, sich verhört zu haben.
Sie wiederholte das Wort.
Paul war kurz davor, die Fassung zu verlieren. Machte sie einen Scherz, wollte sie ihn ärgern, oder quälten sie psychische Probleme, die sie ihm bisher verheimlicht hatte? Hörte sie Stimmen, die ihr Befehle erteilten? Oder meinte sie es nicht wörtlich, sondern fürchtete, er würde, sollte ihr geplantes gemeinsames Leben nicht gut gehen und sie wieder ausziehen, eine Trennung nicht überleben?
»Wie meinst du das?«
»So, wie ich
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