Drachensturm
schlafen, und du willst sie doch nicht wecken.«
» So bist du auch gefangen, Pitumi?«, fragte er, und dieser Gedanke hatte etwas Lähmendes.
Die Chachapoya beantwortete die Frage nicht, sondern sagte stattdessen: » Ich habe endlich mit den Vergessenen sprechen können. Sie werden gegen die Fremden kämpfen, wenn sie es wagen, die Berge zu überqueren.«
» Aber was können sie schon ausrichten?«, erwiderte Kemaq niedergeschlagen.
Pitumi lachte leise. » Ihre Waffen sind ganz anderer Art als die der Inka oder der Fremden. Die Ankay Yayakuna haben dich gefangen und daran gehindert, diesen heiligen Auftrag zu erfüllen. Das werden sie bereuen.«
Kemaq starrte sie im Dunkeln an – sie sprach ruhig, aber er spürte ihren großen Zorn.
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Dann sagte Kemaq: » Ich habe daran gedacht, zu fliehen, wenn der Nebel dichter wird, Pitumi.«
Er sah nur ihren schwarzen Umriss, aber er war sich fast sicher, dass sie lächelte, als sie antwortete: » Du glaubst, der Nebel würde dir helfen? Du bist doch kein Chachapoya, Chaski.«
» Machst du dich über mich lustig?«, fragte er verärgert.
Sie seufzte. » Nein, gewiss nicht. Du bist unsere größte Hoffnung, Kemaq, und ich bin hier, um dir etwas zu sagen.« Sie schwieg einen kurzen Augenblick, dann sagte sie: » Ich habe erfahren, dass die Fremden die Mine öffnen wollen.«
» Aber dann finden sie …« Kemaq konnte den Satz nicht beenden, denn Pitumi drückte ihm so hart den Arm, dass er beinahe aufgeschrien hätte.
» Keine Sorge, sie suchen nicht den Weg, sondern nur das Silber. Doch kann es sein, dass sie dir den Pfad öffnen. Deshalb solltest du in der Nähe sein, wenn sie dort arbeiten.«
» Und wie soll ich das anstellen? Wir sind doch Gefangene, Pitumi.«
Sie lachte leise. » Glaubst du etwa, sie haben vor, sich selbst die Hände schmutzig zu machen? Nein, sie werden Menschen brauchen, Gefangene wie dich. Du musst versuchen, zu denen zu gehören, die dort arbeiten, verstehst du?«
Kemaq nickte, und die Chachapoya ließ seinen Arm los. » Gut«, sagte sie, » aber sprich mit niemanden über das, was ich dir gesagt habe, Chaski.«
» Aber die anderen hier …«, begann Kemaq und deutete mit ausladender Geste in die Runde. Er brachte auch diesen Satz nicht zu Ende, weil er verblüfft feststellte, dass sie alle schliefen.
» Das ist der Nebel«, flüsterte Pitumi und erhob sich. » Er macht müde.«
» Wo gehst du hin?«, fragte Kemaq.
Sie flüsterte: » Es ist noch viel zu tun, Chaski, gib gut auf dich Acht.« Dann schlich sie davon. Kemaq starrte ihr verwirrt hinterher. Was sollte es denn hier zu tun geben? Sein Blick folgte ihr, bis ihr Schatten mit dem der Mauer verschmolz. Seine Augen blieben auf diese Stelle gerichtet, weil er darauf wartete, dass sie wieder auftauchen würde. Aber so lange er auch dort hinüberstarrte, er bekam sie nicht mehr zu sehen.
44 . Tag
Als Mila sich am Morgen erhob, war die Stadt schon voller Leben. Sie hatte nicht gut geschlafen, was vielleicht daran lag, dass sie zum ersten Mal seit Tagen wieder in einem geschlossenen Raum übernachtet hatte. Ruiz hatte ihren Schlaf bewacht, und er war übellaunig, aus einem Grund, den Mila noch während des kargen Frühstücks erfuhr: » Ich bin abkommandiert, von Eurem Onkel, Condesa, und muss hinunter zur Mine gehen und die Indios bewachen. Dabei hatte ich gehofft, diese elende Marschiererei sei endlich vorbei, und ich könnte mir etwas Ruhe gönnen.«
» Ich dachte, das Bergwerk sei gar nicht so weit von der Stadt entfernt, Ruiz«, erwiderte Mila. Ruiz seufzte: » Ja, das mag Euch so scheinen, da Ihr den ganzen Weg auf dem Rücken eines Drachen zurückgelegt habt, Condesa, aber meine armen Füße mussten Legua für Legua durch dieses große Land laufen, und sie verlangen nach Erholung! Man hat mir gesagt, dass die Welt eine Kugel ist, und ich bin sicher, und die Heiligen sind meine Zeugen, wenn wir noch viel weiter marschieren, dann sind wir einmal ganz herum und stehen plötzlich wieder in Sevilla, wo wir aufgebrochen sind!«
Alles Lamentieren half jedoch nicht, und nachdem er Mila in ihre Rüstung geholfen hatte, brach Ruiz murrend zum Dienst auf. Mila hörte, dass Drachen draußen auf dem Platz waren, aber es zog sie nicht hinaus. Sie wollte für eine Weile die Stille des Hauses und die Geborgenheit seiner Mauern genießen, aber als sie dann daran dachte, dass die Bewohner möglicherweise ihretwegen daraus vertrieben worden waren,
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