Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
Vom Netzwerk:
waren.
    Während die Gongschläge über den Platz hallten, fiel mir die Unterrichtsstunde mit Lehrer Prahn und dem Prinzen in der Bibliothek ein. Im Nachhinein war es offensichtlich, dass der überraschende Besuch des Kaisers inszeniert worden war, um meine Unterstützung zu gewinnen, doch seine Freundlichkeit gegenüber dem verängstigten Jungen vom Lande, der zum Lord erhoben worden war, kam mir noch immer aufrichtig vor. Und obwohl ich mir sicher war, dass es einem so hochgestellten Menschen nichts bedeutete, hatte ich ihn sehr gemocht. Der Verlust des Kaisers nistete sich in mein Herz ein, und wenn es sich im Vergleich zum Verlust meines Meisters auch nur um einen kleinen Schmerz handelte, so war es doch eine Traurigkeit mehr, die ihre Scherben in meinen Geist drückte.
    Nun musste sich der Prinz und Perlenkaiser dem Schmerz stellen, den der Verlust des Vaters bedeutete, und der eigenen gefährlichen Thronbesteigung. Er hatte mit mir einen Pakt zu gegenseitiger Überlebenshilfe geschlossen, doch das war mit Lord Eon gewesen, nicht mit einem wertlosen Bauernmädchen, das in der Hand seiner Feinde war. Inzwischen konnte ich sein Schicksal genauso wenig beeinflussen wie das meine.
    Der letzte Gongschlag hallte über den stillen Platz. Lord Tyron neben mir seufzte.
    »Geht, Lord Eon«, sagte er. »Geht und stellt Eure Macht in den Dienst unseres neuen Kaisers. Sorgt dafür, dass Sethon vor ihm kniet.«
     
    Ich rutschte ein Stück zur Seite, um Lady Dela Platz zu machen, während Ryko ihr in die Kutsche halft. Sie bedankte sich leise bei ihm, ließ sich auf dem gepolsterten Sitz nieder und strich unsicher über ihr reich besticktes cremefarbenes Gewand. In der kurzen Zeit, die uns geblieben war, um unsere Rückreise in die Stadt vorzubereiten, hatte sie unruhig in ihrem Gepäck gewühlt und immer wieder gesagt, ihr Kleid eigne sich nicht als Trauergewand. Erst als Rilla sie bei den Händen genommen, in einen Stuhl gesetzt und ihrer Zofe befohlen hatte, ein Kleid zu suchen, das des toten Kaisers würdig sei, hatte Lady Dela von ihrer hektischen Suche abgelassen.
    Sie hatte nicht nur das Gewand gewechselt, sondern auch ihre höfische Schminke entfernt. Ohne ihre bleiche Maske schimmerte ihr kantiges Gesicht grau und wirkte von Kummer gezeichnet. Sie lächelte mich müde an und zupfte an dem kleinen Reisekorb herum, den sie auf dem Schoß hielt. Rilla hatte auch mir in aller Eile die Drachenaugenrobe ausgezogen und mir für die anstrengende nächtliche Reise ein dunkles Gewand und eine nicht minder dunkle Hose gegeben. Ich war erleichtert, die rote Robe nicht mehr am Leib zu haben, da sie nach Vanille und Orange zu stinken schien. Leider hatte ich keine Zeit gehabt, ein Bad zu nehmen, um auch Idos Berührungen wegzuschrubben.
    Die Kutsche schaukelte erneut, als Rilla sich uns gegenüber auf dem kleinen Dienersitz niederließ. Sie wies Ryko an, einen großen Korb mit Essen auf den Boden zu ihren Füßen zu stellen. Ich begegnete ihrem herausfordernden Blick mit einem Stirnrunzeln, denn diese Debatte hatten wir bereits geführt: Ich wollte nichts essen.
    »Bei allem Respekt, Mylord«, sagte sie schroff, »Ihr müsst etwas zu Euch nehmen – sonst habt Ihr nicht genug Kraft, um dem alten Kaiser die Ehre zu erweisen.«
    Lady Dela nickte. »Das stimmt, Lord Eon. Die Geisterwache ist sehr anstrengend.«
    Ich wusste, dass sie recht hatten. Ich würde etwas zu mir nehmen müssen, um meinem Körper Energie zu liefern, doch bereits bei dem Gedanken, Essen hinunterzuschlucken, zog sich mein Magen krampfartig zusammen. Vielleicht würde mich eine weitere Prise Sonnenpulver wiederherstellen. Andererseits hatte dieses Mittel während des Königsmonsuns in jeder Hinsicht versagt. Vielleicht wirkte es nur bei Männern? Hatte es mir womöglich deshalb nicht geholfen, meinen Drachen zu sehen? Oder hatte Ido mich irgendwie von meinem Tier abgeschirmt? Ich spürte, wie sich der Würgegriff der Verzweiflung erneut um meine Kehle legte.
    »Also gib mir was zu essen«, sagte ich, um mich auf etwas jenseits der erstickenden Leere zu konzentrieren.
    Rilla zog eine lackierte Schachtel aus dem Korb. Sie nahm den Deckel ab, verneigte sich rasch und reichte mir das Käst chen herüber. Drei gewürzte und mit Tang umwickelte Reisbällchen lagen auf einem Bett aus dünn geschnittenem Weißkohl wie Vogeleier in einem Nest. Ein herrliches, mit Sorgfalt zubereitetes Gericht, doch ich hätte mich am liebsten erbrochen.
    »Mylord, Mylord! Bitte

Weitere Kostenlose Bücher