Drachenwege
bereits nachgedacht, mein Lord«, erwiderte Nuella. »Wenn wir einen erhitzten Stein nähmen und einen Leuchtkorb ...«
»Eine ausgezeichnete Idee!«, fiel J'lantir ihr ins Wort.
»Vielleicht sollten wir sogar zwei Leuchtkörbe nehmen, einen mit frischem und einen mit fast ausgebranntem Myzel ... und auch zwei Steine, von denen einer sehr heiß ist, der andere lediglich lauwarm.«
Er und Nuella vertieften sich darin, eine Versuchs-anordnung auszuklügeln, um das Sehvermögen des Wachwhers zu testen.
»Vielleicht sollten wir Kisk einfach fragen, was sie sieht«, schlug Kindan vor.
M'tal lächelte ihn an. »Und M'tal und Nuella den
Spaß verderben? Kommt gar nicht in Frage.«
»So einfach wie ihr glaubt, ist es nicht«, mischte sich Nuella ein. Verlegen schlug sie sich die Hand auf den Mund. »Entschuldigung, mein Lord. Ich wollte nicht frech sein.«
»So respektlos springt sie mit jedem um«, brummte
Kindan.
»Und sie hat ein ausgezeichnetes Gehör«, betonte
M'tal mit amüsiert funkelnden Augen. Er wandte sich an das Mädchen. »Nuella, da wir demnächst häufig miteinander zu tun haben werden, können wir ruhig auf Formalitäten verzichten. Sprich du nur weiter aus, was du denkst. Einverstanden?«
Nuella nickte.
»Heißt das, das ich dich jetzt nur mit M'tal ansprechen darf?«, vergewisserte sich Kindan. »Ohne die Anrede >mein Lord< hinzuzufügen?«
»Natürlich. Und für euch bin ich schlicht und einfach J'lantir«, warf der andere Drachenreiter ein. »Im Übrigen bin ich es nicht gewöhnt, mit >mein Lord< betitelt zu werden.«
»Wenn J'lantir nicht ausgedehnte Flüge auf seinem
Drachen unternimmt, sucht er sich irgendwo ein ruhiges Plätzchen und liest«, erklärte M'tal und klopfte seinem Kameraden auf die Schulter. Dann beugte er sich herunter und flüsterte Nuella ins Ohr: »Man sagt, dass er einmal sein gesamtes Geschwader verloren hatte, und es erst eine Woche später bemerkte.«
»Es waren nur drei Tage«, berichtigte J'lantir. Listig blinzelte er Kindan zu. »Endlich hatte ich meine Ruhe und wurde nicht dauernd gestört.«
Kindan fand es ungeheuerlich, dass ein Drachenreiter sein Geschwader verlor, doch dann begriff er, dass es ein Witz sein sollte und grinste.
»So etwas kann doch gar nicht passieren«, wandte
Nuella nüchtern ein. »Drachen verständigen sich mittels Telepathie und können einander auch ohne Sichtkontakt orten.«
J'lantir lächelte und drohte ihr scherzhaft mit dem Finger; dann fiel ihm ein, dass sie nicht sehen konnte, und er stubste sanft ihre Nase an. »Scharf nachgedacht, mein Mädchen. Du scheinst mir sehr intelligent zu sein.«
Der Vorhang vor der Tür raschelte, und Meister Zist trat ein, gefolgt von Zenor, der eine Kanne und mehrere Becher trug.
»Ah, Meister Zist, von dir habe ich schon viel gehört«, rief JTantir und wandte sich erfreut an den Harfner. »Ich bin JTantir, der Reiter von Lolanth und Geschwaderführer im Ista Weyr.«
Meister Zist neigte sein Haupt und grüßte: »Mein
Lord ...«
J'lantir winkte ab, zum Zeichen, dass eine Ehren—
bezeugung überflüssig sei. »Soeben sagte ich Nuella, dass ich für meine Freunde nur J'lantir bin.« Mit ernster Miene betrachtete der Drachenreiter den Harfner. »Ich hoffe doch sehr, dass wir Freunde werden.«
»Da habe ich keine Bedenken«, erwiderte Zist
lächelnd. Er warf Nuella einen Blick zu. »Gleich kommt dein Vater hierher, um die Drachenreiter zu begrüßen.«
»Mein Vater will nicht, dass mich jemand sieht«, er-klärte Nuella. »Darf ich mich hier verstecken, bis er wieder fort ist?«
M'tal und JTantir setzten ernste, besorgte Mienen auf.
»Es ist ein Geheimnis, das er um jeden Preis wahren möchte«, ergänzte Kindan. »Meister Zist sagt, dass manche Leute Geheimnisse brauchen.«
M'tal legte die Stirn in Falten. »Ein Geheimnis kann nie zu etwas Gutem führen«, meinte er.
»Bitte«, flehte Nuella. »Ich möchte mich verstecken.
Wenn er mich hier sieht, wäre das ein Schock für ihn, und er wäre sehr böse auf mich.«
JTantir warf M'tal einen fragenden Blick zu. M'tal kniff die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und nickte knapp. »Fürs Erste respektieren wir dein Geheimnis, Nuella«, erklärte er. Dann fasste er den Harfner ins Auge. »Wir zwei reden später über das Problem, Meister Zist.«
Der Harfner reckte das Kinn vor. »Einverstanden. Ich selbst halte auch nichts von dieser Heimlichtuerei, aber ich glaube, noch sollten wir nichts dagegen unternehmen. Bis jetzt hat
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