Dragon Dream (epub)
»Frierst du, Schwester?« Morfyd nannte sie Schwester, seit sie sich kennengelernt hatten. Sie schien zu wissen, dass sie eine Hexe war. Wenn auch keine sehr mächtige.
»Warum fragst du?«
»Weil du seit zwei Tagen deine Handschuhe nicht ausgezogen hast.«
Natürlich hatte sie das nicht. Eine Hexe von Morfyds Macht müsste nur ihre bloße Hand nehmen und wüsste alles, was es über Talaiths Vergangenheit zu wissen gab, von ihrem ersten Atemzug nach der Geburt bis zu ihrem letzten schweren Atmen mit Briec. Da Talaith in den vergangenen sechzehn Jahren keine Ausbildung in den Hexenkünsten genossen hatte, hatte sie keine Ahnung, wie sie sich vor ihr verschließen sollte.
»Ich friere schnell, Schwester«, log sie.
»Oh, das tut mir leid.«
»Keine Sorge.«
»Keine Sorge worüber?« Annwyl setzte sich auf Talaiths andere Seite und reichte ihnen beiden etwas getrocknetes Rindfleisch und ein großes Stück Brot. Der Streit mit Morfyd von eben war schon vergessen.
»Talaith friert.«
Annwyl seufzte. »Es tut mir leid, Talaith. Ich weiß, dass wir im Moment ein raues Leben führen, aber wir werden bald zu Hause sein. Alle Räume der Burg haben eingebaute Kamine. Es ist wirklich schön.«
Gute Götter. Die Frau nahm sie nicht nur mit in die Dunklen Ebenen, sie hatte auch noch vor, sie auf der Insel Garbhán unterzubringen.
»Mir geht es gut, Annwyl. Wirklich.«
»Wenn wir für die Nacht anhalten, kannst du in meinem Zelt schlafen.«
Panik breitete sich in Talaith aus wie ein Lauffeuer. »Das ist wirklich nicht nö…«
Annwyl wischte ihren Einwand mit einer narbigen Hand beiseite. Diese Frau hatte viele Narben. »Das ist doch kein Problem, Talaith, wirklich. Aber das ist natürlich deine Entscheidung.«
»Sie schnarcht«, warnte Morfyd.
»Ich tue nichts dergleichen!«, schrie Annwyl zurück.
»Wie ein Bulle in der Brunft.«
»Wenn wir wieder auf Garbhán sind … dann rede ich kein Wort mehr mit dir!«
»Glaub mir, Annwyl, das wird mir ein Vergnügen sein.«
Talaith hätte ihren Streit so gern genossen, aber sie konnte nicht. Nicht, wenn es sie ihre ganze Kraft kostete, nicht zu zittern.
Talaith stand hinter Annwyls Zelt. Wieder schluckte sie ihre Übelkeit hinunter und dachte nur an ihre Tochter. Im Moment war das alles, was sie antrieb. Mit einem erneuten raschen Blick um sich kauerte sie sich hin und kroch zwischen dem Zelt und dem Boden hindurch bis sie drinnen war.
Sie stand auf und ging zu Annwyl hinüber. Die Frau schlief tief und fest. Einen Arm hatte sie über ihren Kopf geworfen, der andere hing fast bis auf den Boden. Sie war barfuß, hatte aber immer noch ihre Hose an. Am Oberkörper trug sie nur ihre Bandagen. Mehrere große und viele kleine Schwertwunden bedeckten ihren Oberkörper. Alle alt und schon lange verheilt.
Das Seltsamste waren die Zeichen über ihrem Schlüsselbein. Diese Male stellten ein sehr altes und kompliziertes Muster dar und zeichneten sich hellbraun auf ihrer sonnengebräunten Haut ab. Sie ähnelten einer verblassten Tätowierung oder einem alten Brandmal, und Magie strahlte von ihnen aus. Irgendeine Art Schutz. Perfekt .
Ihre langen, braunen Haare waren offen um sie herum ausgebreitet, und sie hatte die Decken von sich geworfen, sodass sie auf dem Boden lagen.
Sie sah friedlich aus.
Wieder schloss Talaith die Augen, verdrängte alles bis auf den Gedanken an ihre Tochter. Dieses Opfer würde ihre Tochter retten, und das war das Einzige, was zählte.
Nur mit diesem einen Gedanken im Kopf hob sie den Dolch – fest mit beiden Händen umklammert – über Annwyls Brust. Direkt über das schützende Mal auf ihrer Brust. Sie betete zu allen Göttern außer Arzhela, ihre Seele, oder das, was noch davon übrig sein mochte, zu retten, und stieß mit aller Kraft zu.
Als der Dolch knapp über dem Mal anhielt, wurde ihr bewusst, dass sie die Augen geschlossen hatte. Sonst hätte sie gesehen, wie Annwyl die gekreuzten Arme gehoben und ihre Bewegung gestoppt hatte. Talaith seufzte erleichtert auf, und in diesem Moment öffneten sich diese kalten, grünen Augen und sahen sie an.
»Ich muss zugeben, ich hätte dich für sehr viel geschickter gehalten.« Annwyl hielt Talaiths Hände fest und drehte die Klinge auf ihre Kehle zu.
Annwyl beobachtete genau, wie die Klinge Talaiths Kehle immer näher kam … und Talaith es zuließ. Sie hob sogar ihr Kinn in Erwartung des Schnitts. Annwyl wollte es wissen. Sie hob die Klinge immer höher, bis sie tatsächlich die Haut
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