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Drahtzieher - Knobels siebter Fall

Drahtzieher - Knobels siebter Fall

Titel: Drahtzieher - Knobels siebter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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davon, merkte, wenn sich ein Mensch zu öffnen begann, sich erst noch zierte, etwas preiszugeben. Er konnte warten, verstand es, seine Fesseln, die er dem anderen anlegte, unsichtbar sein zu lassen, wog den anderen in der trügerischen Sicherheit, noch darüber bestimmen zu können, ob er sich weiter öffnete. Wanninger schaffte es regelmäßig, die Nuss zu knacken. Er wurde freundschaftlich und vertraulich, appellierte an das Gewissen seiner Informanten, die Dinge ans Licht bringen zu müssen. Wanninger musste Vertrauen vorschießen. Er tat es auch jetzt. Er ging aufrecht über die Schwarze Straße. Er glaubte, eine Ebene gefunden zu haben, auf der er der Stimme begegnen konnte. Die Schwarze Straße war breit und leer. Die Kokerei wirkte aufgeräumt, fast freundlich. Der Boden roch penetrant nach Teer und Benzol. Es roch noch nach Betrieb. Alles war unwirklich unmittelbar. Ein Hase rannte vor ihm über die Schwarze Straße.
    »Er war bei den van Eycks. Und er hat mitgenommen, was er suchte«, antwortete die Stimme.
    Wanninger nickte. Er hatte es gewusst. Die Spuren waren klar.
    »Das Treffen an der Autobahn bei Greifenstein?«, wagte er zu fragen.
    Die Stimme antwortete nicht. Im Kopfhörer war nur Rauschen.
    »Hallo?«, fragte Wanninger leise. Er tippte mit der einen Hand gegen den Kopfhörer, mit der anderen versuchte er die Einstellung am Gerät zu verändern. Vielleicht störten die Türme den Empfang. Er blinzelte nach oben und sah nichts. Die Schattenseite des Kohlenturms ragte tiefbraun, fast schwarz in den blauen wolkenlosen Himmel.
    Der Schuss peitschte durch die Luft. Er schmetterte irgendwo gegen dicken Stahl, es klang hell und zugleich dumpf. Dann war es still. Sekundenbruchteile nur, doch es war wie eine Ewigkeit. Einige Vögel stiegen mit heftigem Flügelschlag auf. Wanninger stürzte zu Boden. Das Herz raste. Er hatte die Kugel gehört, sich instinktiv auf den Asphalt geworfen, den Kopf eingezogen, reagiert, als hätte er sich vor dem Schuss noch schützen können, als er bereits gefallen war. Wanninger lag bebend still, lebendig tot.
    Das Blut hämmerte in seinem Kopf. Der Metallbügel des Kopfhörers drückte auf seine Schläfe. Wanninger blieb regungslos. Seine Finger zitterten, er vibrierte am ganzen Körper. Man konnte nicht sehen, dass er lebte, noch lebte. Wanninger wartete auf den zweiten Schuss. Seine Augen waren aufgerissen. Er starrte auf den Boden. Erstmals bereute er, seine Nase in Dinge zu stecken, die ihn nichts angingen. Es war eine absurde kindliche Beichte vor sich selbst – und zugleich die Erkenntnis, dass er für niemand anderen verantwortlich war. Er beherrschte jeden Muskel seines Körpers. Äußerlich blieb er so still, wie er es noch nie vermocht hatte. Wanninger war erstarrt. Eine Ameise krabbelte über seine rechte Hand. Er verspürte ein leichtes Kitzeln, doch er rührte sich nicht. Indem er sich tot stellte, wuchs er über sich hinaus.
    Kurz nach 18 Uhr stolperte Wanninger in den Infopunkt. Die Frau hinter dem Tresen blickte erst auf ihre Armbanduhr, dann verwundert auf seinen Anzug.
    »Sind Sie gefallen?«, fragte sie erstaunt. »Und wo ist Ihr Freund?«
    »Welcher Freund?«, fragte Wanninger wie ein Automat.
    »Der Sie hier überraschen wollte. Heute, an Ihrem Geburtstag!«
    »Ich habe heute nicht Geburtstag«, stammelte Wanninger.
    Er wankte und suchte an der Theke Halt.
    »Ich verstehe nicht«, stotterte sie betroffen. »Wasser?«
    Er nickte.
    Sie griff unter den Tresen und reichte ihm eine Sprudelflasche.
    »Sind Sie verletzt?«, fragte sie unsicher. »Ist Ihnen was passiert? Soll ich Hilfe holen?«
    Sie war bleich geworden.
    »Wo ist er hin?«, fragte Wanninger.
    »Er ist nicht mehr hier gewesen«, stammelte sie. »Ich dachte, er wäre bei Ihnen. Haben Sie ihn denn nicht getroffen?«
    Sie spürte, dass etwas passiert war – und auch – dass sie etwas falsch gemacht hatte.
    »Was war denn mit dem Gerät?«, fragte sie.
    Wanninger antwortete nicht. Er atmete hastig.
    Sie schob ihm einen Stuhl hin.
    »Er war schon heute Vormittag einmal da gewesen«, sagte sie. »Er gab mir ein Gerät, das so ähnlich aussieht wie einer unserer Audioguides, die wir den Besuchern mitgeben, wenn sie die Kokerei besichtigen. Er sagte, er sei ein Freund von Ihnen und Sie beide hätten vor Jahren hier zusammen gearbeitet. Heute sei Ihr Geburtstag, und er wusste, dass Sie herkommen wollten. Er sagte, er hätte dieses Gerät vorbereitet, das ich Ihnen geben sollte. Wenn Sie es aufsetzen,

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