Draußen wartet die Welt
dass ich ihr offen von Tante Beth schrieb. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass diese Nachricht für sie völlig eindeutig war, aber eben für niemand sonst.
Wenn ich mit Beth zusammen war, spürte ich eine Art Hunger in mir. Ich konnte einfach nicht genug von ihrem singenden Tonfall bekommen. Ich liebte die Geschichten ihrer lustigen Missgeschicke aus der Zeit, als sie sich noch an das Leben mit den Englischen hatte gewöhnen müssen. Etwa die Geschichten über die unzähligen Dinge, die sie in der Mikrowelle hatte explodieren lassen, oder darüber, wie sie immer nach Streichhölzern gesucht hatte, wenn die Sonne unterging, weil sie vergessen hatte, dass sie einfach das Licht anschalten konnte.
Aber auch Tante Beth schien mich förmlich in sich aufzusaugen. Sie wollte alles über zu Hause wissen. Als wir auf ihrer Veranda saßen und an unserem Tee nippten, sagte ich: »Das letzte Mal, als du meine Mutter gesehen hast, hast du ihr gesagt, dass du ihr schreiben würdest. Hast du?«
»Eine Weile lang, ja«, antwortete sie. »Dann habe ich einen Brief von deinem Vater bekommen, in dem er mich bat, damit aufzuhören, weil die Briefe sie aufwühlten. Den letzten Brief habe ich ihr ungefähr zu der Zeit geschickt, als John und ich in dieses Haus gezogen sind. Vor ein paar Jahren hatte John die Idee, umzuziehen, aber ich sagte ihm, dass wir nie von hier fortgehen können, weil Becky sonst nicht wüsste, wo sie mich finden kann.«
»Vermisst du die Familie?«, fragte ich.
»An jedem einzelnen Tag. Besonders deine Mutter. Als ich klein war, kroch ich immer, wenn Miriam gemein zu mir war oder ich Ärger bekam, weil ich beim Gottesdienst herumgezappelt hatte, in Beckys Bett, und sie legte ihren Arm um mich und strich mir übers Haar. Und sie hat immer das Gleiche zu mir gesagt: ›Jetzt ist alles gut, Elizabeth. Deine Schwester ist ja da.‹ Dann habe ich mich jedes Mal besser gefühlt.«
Ein paar Minuten lang schwiegen wir. Die Hollywoodschaukel wiegte sanft hin und her und der Tee kühlte allmählich ab. Ich beugte mich nach vorn und stellte die Tasse auf den Boden. »Tante Beth«, begann ich und freute mich über das Lächeln, das sich bei diesen Worten auf ihrem Gesicht ausbreitete, »wie nennst du dich selbst?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, ich habe mich gefragt, was du jetzt bist, wo du doch keine Amische mehr bist.«
Beth schwieg einen Moment, bevor sie antwortete. »Ich war früher eine Amische.«
Damit schien alles gesagt.
Kapitel 23
Zwischen Josh und mir veränderte sich einiges. Er fand immer wieder eine Möglichkeit, heimlich vorbeizukommen, wenn Rachel nicht zu Hause und die Kinder im Ferienlager waren. Unsere gemeinsame Zeit hatte nun etwas Dringenderes als bisher. Wir telefonierten täglich mehrmals, und sei es nur, um Hallo zu sagen oder zu fragen: »Und, was machst du gerade?« Ich rief ihn immer auf dem Handy an, bevor ich ins Bett ging, damit seine Stimme das Letzte war, was ich am Tag hörte.
Wenn wir zusammen waren, wurden wir von einer eigenartigen Unruhe erfasst. Wir streckten immer wieder unsere Hand aus, um den anderen zu berühren, obwohl wir keinen bestimmten Grund dafür hatten, außer dass wir Lust dazu hatten. Dann pressten wir unsere Lippen aufeinander, erst ganz sanft, dann immer intensiver. Ich verspürte eine regelrecht brennende Sehnsucht, bei ihm zu sein. Es machte mich beinahe wahnsinnig. Ich wusste, dass ich es nicht sehr lange aushalten konnte, ohne seine Haut auf meiner zu spüren oder den Moschusgeruch an seinem Hals zu riechen, wenn er mich ganz nah zu sich heranzog.
Ich stellte fest, dass es mir nicht mehr so leichtfiel, mit dem ersten Licht des Tages aufzustehen. Aber ich schüttelte die Müdigkeit jeden Morgen aufs Neue ab, um weiterhin als Erste aufzustehen und das Frühstück für die Familie zuzubereiten, das bereits wunderbar warm auf dem Tisch stand, wenn sie nach unten kamen. Ich wollte Rachel zeigen, dass meine Beziehung mit Josh sich nicht auf meine Arbeit auswirkte, und so wurden die Gerichte, die ich zum Abendessen zubereitete, immer aufwendiger, und das ganze Haus blitzte und blinkte förmlich unter meinem Putztuch.
Nach dem Ferienlager war ich die Spielkameradin der Kinder. Ich ging mit ihnen in den Park oder in die Bibliothek, schluckte das eine oder andere Gähnen hinunter, wenn wir Videospiele spielten, und bastelte mit ihnen am Küchentisch. Eines Tages gingen wir nach draußen, um Schmetterlinge zu fangen, aber sie flogen jedes Mal weg, wenn
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