Draußen wartet die Welt
nehme an, du hast die Geheimnisse des Telefonierens bereits enthüllt.«
Ich lächelte, griff nach dem Notizblock und schrieb Rachels Telefonnummer auf. Diese beiden Stücke Papier, die mich mit meiner neu entdeckten Tante verbinden würden, hatten etwas beinahe Magisches an sich. Ich faltete den Zettel mit Beths Nummer zusammen und steckte ihn in die Hosentasche meiner Jeans. Es war beruhigend, ihn dort zu spüren.
Langsam ging ich zur Haustür und wollte diesem Abend nur widerstrebend ein Ende bereiten. Auf Onkel Johns Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus, das mir bereits vertraut war. Er nahm mich erneut in die Arme und schüttelte Josh die Hand. »Du gehörst jetzt zur Familie«, sagte er zu mir. Ich musste schlucken und nickte.
Beth küsste Josh auf die Wange und drehte sich dann zu mir um. »Danke, dass du mich gefunden hast«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. Ich machte einen Schritt auf Tante Beth zu, erwiderte ihre Umarmung und wurde von ihrer Wärme erfüllt. Als wir uns wieder voneinander trennten, griff sie plötzlich nach meinen Händen und hielt sie ganz fest. »Nur noch eins.« Sie sprach jedes Wort sehr langsam aus. »Meine Eltern. Sind sie …?« Ihre Stimme erstarb.
Ich verstand, was Beth meinte, und drückte ihre Hände. »Es geht ihnen gut«, erwiderte ich und sah, wie erleichtert sie war. »Sie leben bei Tante Miriam und Onkel Ike. Grandpa arbeitet immer noch auf der Farm und Grandma hilft Tante Miriam mit den Kindern.«
Beth schloss einen Moment lang die Augen. »Gott sei Dank«, flüsterte sie. Sie ließ meine Hände wieder los und lehnte sich an John, der sich schweigend neben sie gestellt hatte.
Josh und ich traten gemeinsam auf Tante Beths Veranda und in die stille Dunkelheit des Sommers hinaus. Im Auto wandte sich Josh zu mir um. »Dann sind wir also gute Freunde?«, fragte er und grinste mich herausfordernd an.
Ich nickte, aber irgendetwas kribbelte in meinem Bauch. Josh beugte sich zu mir und unsere Lippen trafen sich. In jenem Moment brauchte ich keine Worte, die beschrieben, was wir waren. Ich brauchte überhaupt keine Worte mehr.
Kapitel 22
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Es gab noch so viele offene Fragen, und je länger ich den Abend noch einmal Revue passieren ließ, desto verwirrter war ich. Wie war es möglich, dass sich nie jemand in der Familie verplappert und eine Geschichte aus Kindertagen erzählt hatte, in der eine dritte Schwester vorkam? Ich kramte in meinem Gedächtnis, aber ich fand tatsächlich nicht den Hauch einer Erinnerung an ein Mädchen, das ein Versprechen gebrochen und dem man zur Strafe gesagt hatte, es existiere nicht mehr.
Dann erinnerte ich mich an etwas, was ich in jener Nacht gehört hatte, als ich mein Ohr an die Wand gedrückt und belauscht hatte, wie die Diskussion meiner Eltern ständig hin und her ging. Irgendwann hatte meine Mutter mit scharfer Stimme gesagt: »Vergiss nicht, was mit meiner Schwester passiert ist.« Ich hatte angenommen, dass sie damit Tante Miriam meinte. Nun wurde mir jedoch klar, dass sie über Tante Beth gesprochen haben musste. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, was mein Vater auf ihre Worte erwidert hatte.
Und dann fiel es mir wieder ein. Mit fester Stimme, die so hart war wie ein Holzbrett, hatte mein Vater entgegnet: »Ich denke ja an deine Schwester, und ich hoffe, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.«
Nachdem ich Tante Beth getroffen hatte, veränderte sich alles. Wenn jetzt bei Rachel zu Hause das Telefon klingelte und auf dem Display Beths Nummer zu sehen war, nahm ich sofort ab. Josh zeigte mir, wie ich mit der Bahn zu ihr fahren konnte, wo ich aussteigen musste und wie ich die vier Blocks von der Haltestelle zu dem grauen Haus mit den grünen Fensterläden am besten zu Fuß ging.
Später in dieser Woche schrieben Beth und ich gemeinsam einen Brief nach Hause, in dem wir geheime Informationen an meine Mutter schicken wollten.
Liebe Familie,
ich vermisse Euch alle sehr und denke sehr oft an Euch. Mir gefällt meine Arbeit hier und ich habe auch schon ein paar nette Freunde gefunden. Eine meiner neuen Freundinnen heißt Betty, und es ist immer sehr lustig, wenn wir zusammen sind. Sie hat ein richtig sprudelndes Lachen und erzählt gerne Geschichten über ihre Familie. Ich könnte ihr den ganzen Tag zuhören. Tatsächlich sitzt sie gerade neben mir, während ich diese Worte schreibe. Wir sind uns schon fast so nahe wie Schwestern.
Meine Mutter hatte nicht gewollt,
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