Draussen
Er lächelte ein schiefes Lächeln, das ich ganz sympathisch fand. »Ja, hi, Felix!« Ich versuchte, meinen ersten Eindruck einzuordnen. Der erste Eindruck war doch immer so wichtig, hieß es. Er entschied über Bleiben oder Flucht, Vergnügen oder Arbeit, Großfamilie oder Kloster. Ich versuchte, mir die Enttäuschung, die ich bei seinem ersten Anblick aus zwanzig Metern Entfernung empfunden hatte, schönzureden. Er wirkte jungenhaft, das mochte ich ja. Seine Augen konnten als ausdrucksstark durchgehen. Und er hatte eine nette Stimme, auch live. Gut, nette Stimmen hatten eigentlich fast alle Menschen, die ich kannte, genauer gesagt fiel mir aus meinem Bekanntenkreis nur eine unangenehme Stimme ein, nämlich die meiner ehemaligen Nachbarin Maren, die sich immer so anhörte, als hätte sie eine starke Erkältung und den Mund voll. Felix’ Stimme war normal, ich konnte sie also auf seiner persönlichen Haben-Seite verbuchen. Sein Aussehen war auch normal. Nicht toll, nicht hässlich, eher sympathisch als abstoßend. Also noch ein Pluspunkt. Und selbstverständlich waren es ja die vielbeschworenen »inneren Werte«, wonach ich wirklich suchte. Eigentlich. Aber gefallen musste er mir schon. Und Felix war schon ziemlich pummelig. Und er hatte auch rotblonde Augenbrauen! Rotblond! »Stimmt irgendwas nicht?« fragte Felix, offenbar irritiert. Ich hatte ihn wohl allzu unverhohlen angestarrt. »Alles bestens. Wo geht’s zum Koffein?« – »Ein kleines Stück weiter im belgischen Viertel gibt’s ein ganz nettes Café, wenn’s o. k. ist, dass wir noch ein Stück gehen?« – »Klar. Gern.« – »Oder hattest du einen so anstrengenden Abend, dass du ganz schnell einen Kaffee brauchst?« Geschickt übergeleitet – dieser Fuchs! Aber er schien wirklich interessiert zu sein. Ich erzählte ihm von dem vergangenen Abend, versuchte stümperhaft einige Pointen von Thorsten Maunzer wiederzugeben und lästerte über die Leute. »Ich kam mir vor wie beim Kongress der schlecht eingestellten Diabetiker. Wie die sich auf das Essen gestürzt haben!« – »Oh ja, das kenne ich!« rief Felix entzückt. »Ich war mal mit meiner Oma auf einer Kreuzfahrt, Mittelmeer, eine Woche. Die vier Restaurants an Bord hatten lediglich einmal täglich für drei Stunden geschlossen, zwischen drei und sechs, damit einmal durchgefeudelt und die Tischwäsche gewechselt werden konnte, aber manche Passagiere an Bord hielten das nicht aus und haben drei Stunden lang an der Tür gekratzt – um Einlass winselnd und mit einem Handtuch bewaffnet, das sie bei Restaurantöffnung auf einen Stuhl in der Nähe des Buffets werfen wollten, um ihren Anspruch auf den Platz zu markieren. Dass sie nicht ans Tischbein pissten, war alles. Dabei gab es noch zwei Cafés und ein Bistro an Bord, wo man in diesen drei Stunden kleine Snacks und Kuchen bekam. Echt krass.«
Es machte mir Spaß, mich mit Felix zu unterhalten. Er war ein guter Zuhörer – wobei er das bei seinem Aussehen auch sein musste. Wir hatten einen ähnlichen Humor und unsere Jugend mit denselben Fernsehserien vergeudet.
Munter plaudernd erreichten wir ein kleines, etwas alternativ angehauchtes Café. Es gab nur Bioprodukte und Vollwertkuchen. Von seinem Kleidungsstil her konnte man nicht auf eine übermäßige Öko-Affinität schließen, er trug Jeans, Turnschuhe und einen Kapuzenpulli, allerdings eine Jacke von Fjäll Räven, die man eigentlich nur in Outdoor-Stores bekam. Aber das war mir egal, im Gegenteil, ich hatte ja erst unlängst die Erfahrung gemacht, dass sich im Outdoorsegment zahlreiche attraktive Herren tummelten.
Wir fanden einen Tisch am Fenster und ich bestellte mir einen großen Milchkaffee und ein Stück Schoko-Walnuss-Kuchen. Er bestellte dasselbe. Wie einfallslos. Ein Minuspunkt. Wollte er sich bei mir einschleimen? »Wie lang ist denn deine letzte Beziehung her?« Felix sah mich aufmerksam an. Der war ja direkt. Das liebte ich wie die Pest. Gleich abchecken, was geht, oder was? Wahrscheinlich war das das Hauptproblem am Internetdating: Es war schon vor der ersten Begegnung klar, dass beide auf der Suche nach einem Lebensabschnittsgefährten waren. Das nahm so ein bisschen von der Spontaneität, vom Zweifel. Wenn ich einen Kaufmannsladen betrat und mich ein attraktiver junger Gemüseverkäufer bediente, war alles offen. Wahrscheinlich würde ich nur zwei Kilo Kartoffeln und ein Pfund Tomaten erwerben und mich dann wieder von dannen machen. Wenn ich dann das Gefühl hätte,
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