Draussen
Die andere Hälfte ging fürs Buffet drauf: Es war schließlich der erste Tag nach vier Monaten, an dem sie sich mal wieder so richtig sattessen konnte. Ich freute mich auch aufs Essen. Wohlweislich hatte ich heute schon am Frühstück gespart. Irgendwo hatte ich gelesen, dass Models vor einem wichtigen Fototermin, etwa einer Bademodenfotostrecke, noch weniger aßen als sonst, weil sich selbst eine Scheibe Vollkornbrot in einer kleinen Bauchwölbung abzeichnen könne.
»Idyllisch« war noch untertrieben. Dieser Landgasthof war offenbar der Hauptgrund dafür, dass Menschen überhaupt heirateten.
Ein altes Fachwerkhaus stand auf einer Insel inmitten eines kleinen Flüsschens, in das Trauerweiden ihre Köpfe senkten. Vögel zwitscherten, die Sonne strahlte, das Wasser glitzerte wie mit Photoshop bearbeitet. Die Braut sah zugegebenermaßen fantastisch aus, ihre Hochsteckfrisur saß wie gemalt und sie und ihr Zukünftiger strahlten wie Heidi Klum und Seal beim Fotoshooting nach der Geburt ihres x-ten Kindes. Es war abscheulich. Ich hatte schon zwei Gläser Begrüßungssekt hinuntergestürzt und mein Magen knurrte. »Na, ist das nicht ein Traumwetter?« Connie knuffte mich mit dem rechten Ellbogen in die Seite. Mit dem linken Arm hatte sie Ralf untergehakt. »Ich bin gespannt, was es zu essen gibt. Ach, jetzt werden erstmal Fotos gemacht!« Connie ging mir auf den Geist mit ihrer Fröhlichkeit. Sie schien wirklich verliebt zu sein in Ralf. Ich wollte mich gern mit ihr freuen, schließlich gönnte ich ihn ihr von ganzem Herzen. Um ehrlich zu sein, vielleicht von Dreiviertelherzen. Ich war schon sehr froh, dass er am Montag erstmal verschwinden würde, und wünschte ihm – das nun wirklich von ganzem Herzen –, dass sich die indische Damenwelt aufopferungsvoll um ihn kümmern würde. Schließlich war er mit seinen blonden Locken und den blauen Augen bestimmt ein gerngesehener Gast im Land der heiligen Kühe. Vielleicht schwängerte er ja sogar eine glutäugige Schöne und blieb dann gleich da. Ich wünschte ihm diesbezüglich einfach nur das Beste. Natürlich schämte ich mich auch ein bisschen für diese Gedanken. Aber eine liierte Connie war eben nicht dasselbe wie eine Singleconnie.
»Das da drüben muss Steffis Cousin sein. Er ist Richter! Und anscheinend solo …« Tantenhaft wäre untertrieben für den verschwörerischen Unterton, den Connie jetzt an den Tag legte. »Soll ich euch vorstellen?« – »Pfft – äh, was soll das denn jetzt? Du kennst den doch auch nicht! Außerdem bin ich nicht auf Almosen angewiesen. Und du meinst doch nicht ernsthaft, dass ich an das Märchen mit dem Frosch glaube und aus dieser hässlichen Kröte durch den Schleier der Liebe irgendwann sowas wie der junge Horst Buchholz wird?« – »Du sollst nicht immer so nach dem Äußeren gehen! Außerdem hat er schöne Augen! Wahrscheinlich. Das kann ich von hier nicht sehen. Aber ich wünsche es ihm. Wenigstens schöne Augen wird er doch haben! Und Richter haben eine hübsche Besoldungsgruppe.« – »Connie, danke für den Versuch. Ein Mann muss mir gefallen. Ich muss ihn doch immerhin küssen wollen. Oder gar mehr. Und an Sex mit diesem dicken, überall außer auf dem Kopf – und da wär’s eigentlich wichtiger – dicht behaarten Mann mag ich gar nicht denken. Außerdem tut man der Menschheit was Gutes, wenn man sich mit dem nicht vermehrt …« – »Jetzt hör aber mal auf! Du kennst ihn doch überhaupt nicht! Sei doch nicht so oberflächlich! Ständig hast du irgendwas auszusetzen! Kein Wunder, dass du seit Ewigkeiten Single bist! Der eine sagt dir zu oft ›eben‹ und ist eben etwas sparsam, der Nächste nervt dich, weil er so sensibel ist, dass er eine Paartherapie macht, beim Nächsten stört dich, dass er dir sein Auto zeigen will, was willst du eigentlich?« – »Mich verlieben will ich. Glücklich.« – »Und was ist mit diesem Marc?« – »Marc? Marc ist super! Aber doch nichts für ’ne Beziehung!« Ich musste lachen.
»Ich glaube, du willst gar keinen Mann.« Connie war wütend. Ralf hatte sich schon diskret abgewandt und in Richtung Toilette begeben, und ich seufzte. »Natürlich will ich einen. Aber ich bin eben noch nicht so verzweifelt, dass ich am Buffet zum Dinkelbratling greife, wenn ich auch ein saftiges Steak haben kann.« – »Aber wenn dann ein saftiges Steak vor dir liegt, merkst du plötzlich, dass du Vegetarierin bist! Und, falls du es noch nicht gemerkt haben solltest: Es waren schon ’ne Menge
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