Dread Empire's Fall 01 - Der Fall des Imperiums
wo alle nervös herumstanden, in Ausgehuniformen schwitzten und sich durch die strenge Etikette behindert fühlten. Sie war also nicht mehr sehr gut in Übung, doch Martinez erwies sich als fähiger Partner. Die Stummelbeine verstanden sich auf ihr Geschäft, und er half ihr geschickt über ihre anfängliche Unsicherheit hinweg. Zunächst federte sie bei jedem Schritt auf den Fußballen, doch dann fiel ihr ein, dass es beim Tanzen vor allem darum ging, den Schwerpunkt niedrig zu halten. Sie ermahnte sich streng, zu gleiten und nicht zu hüpfen wie ein aufgeregter Welpe.
Im Verlauf des Abends schwand ihre Unsicherheit, und sie gab sich entspannt den Bewegungen, den Schritten und Martinez’ Armen hin. Ihre Körper bewegten sich nahezu synchron, und sie reagierte zu ihrer eigenen Überraschung bereitwillig auf die kleinste Berührung oder einen leichten Druck in ihrer Handfläche, an der Hüfte und im Rücken. Bei langsamen Stücken verschmolzen sie beinahe miteinander, und sie spürte, als sie einander nahe
waren, das warme Blut in ihre Haut strömen. Die ganze Sache mit der Keuschheit kam ihr im Laufe der Zeit immer unsinniger vor.
Nachdem sie etwa eine Stunde getanzt hatten, gingen sie hinaus, um sich abzukühlen. Niedrige Wolken zogen vorüber und verdeckten Zanshaas Ring. Böen wehten um die Ecken der Gebäude. Auf dem Kanal fuhr ein verdunkeltes Vergnügungsboot vorbei, nur die Konturen waren mit kühlem blauem Neon nachgezeichnet - es wirkte wie das Skelett eines Bootes, eine Heimsuchung von einer anderen Ebene. Martinez tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und öffnete den hochgeschlossenen Kragen seiner Uniform. »Beim nächsten Mal ziehe ich Zivilkleidung an«, sagte er.
»Danke, dass Sie mich daran erinnert haben, wie viel Spaß so etwas macht«, erklärte Sula. »Ich habe seit … oh, seit Jahren nur noch hochoffizielle Bälle besucht.«
»Tanzveranstaltungen der Streitkräfte?« Er sah sie an. »Ja, die sind wirklich kein Vergnügen.« Dann blickte er zum Kanal, bemerkte das vorbeifahrende Boot und strahlte. »Ich habe eine Idee - haben Sie vielleicht Lust, auf dem Kanal zu fahren?«
»Ich …«
»Kommen Sie!« Er fasste sie bei der Hand und trabte los. Sie folgte ihm, und der Wind riss ihr das Lachen von den Lippen.
Nicht weit entfernt fanden sie einen Stand, an dem sie ein Ausflugsboot mieten konnten. Martinez zeigte dem
älteren Torminel-Angestellten seinen Ausweis und bekam ein kleines, für zwei Personen geeignetes Boot zugewiesen. Am kurzen Mast hingen bunte Lichterketten, hinten schützte ein Baldachin ein zweisitziges Sofa. Martinez wischte mit dem Taschentuch ein paar Tropfen vom Sitz und half Sula beim Einsteigen. Der leichte, aus Kunstharz gegossene Rumpf wippte, als sie einstieg, und das Wasser schmatzte an dem mit Moos bewachsenen Stein. Dann saß sie neben ihm, und er stellte den Autopiloten ein.
Jod, Seegras und Moos, Vogelkot und tote Dinge, die im kalten dunklen Wasser trieben - der Geruch des Kanals traf Sula wie ein Keulenschlag und weckte Erinnerungen. So eine Luft hatte sie schon lange nicht mehr geschmeckt. Sie hätte gern gegen den Ausflug protestiert, doch Martinez war ihr nahe, er lächelte und freute sich offensichtlich auf sein Abenteuer. Sie wollte den Abend nicht doch noch verderben, nachdem er sich gerade so gut entwickelt hatte.
Lautlos trieb der Elektromotor das Boot übers Wasser. Sula entspannte sich allmählich an Martinez’ Seite. »Da vorn hat man einen schönen Blick auf die Hohe Stadt«, sagte er ihr ins Ohr.
Wirf ihn in den Fluss, hatte Gredel gesagt. Jahre aufgestauten Hasses hatten sich in ihren Worten entladen.
Niedrige Wolken verdeckten den Blick auf die Hohe Stadt. Martinez machte murmelnd seiner Enttäuschung Luft. »Dann muss ich es Ihnen eben ein andermal zeigen«, sagte er.
Sula schauderte, als ihr der kalte Wind bis in die Knochen fuhr. Sie dachte an den Körper, der lautlos in den Iola glitt, an das Licht der Laternen, das sich golden auf den kleinen, rasch wieder verebbenden Wellen spiegelte, an das Wasser, das zum Mund und bis zur Nase stieg. Die ungerufenen Bilder bedrängten Sula ebenso wie die Erinnerungen, der Geruch des Flusses, der Zeit und des Todes.
Lady Sula?
Sie war nicht etwa Lady Caro, sondern sie war Lady Sula . Sie war nicht irgendein Peer, sondern das Oberhaupt des Sula-Klans.
Lameys Zorn verflog rasch - er kam und verging mit der Geschwindigkeit eines Blitzschlags -, und er nahm Caro auf die Arme
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