Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
Vom Netzwerk:
die ihn führte, und er tanzte, er stampfte so fest auf, wie er konnte, erschütterte alles in sich und versuchte, durch die Zeit zu tanzen. Das war eine Möglichkeit, den Traum zu durchbrechen, die Zeit zu versetzen, in eine ältere Plantage zu tanzen. Alte Mauer, alte Erde, alter Dreck, Tanz zurück.
    Der Speer eine uralte Waffe, vom allerersten Tanz. Der lange Gelenkarm ein Werfer, hierfür geformt. Für den ersten Mann, der den Speer schüttelte, gegen die Wildnis wütete, gegen die Leere, die Welt für sich beanspruchte. Galen versuchte, in der Zeit zurückzutanzen, versuchte, Verbindung aufzunehmen. Versuchte, dieser erste Mensch zu werden, Erde stampfend, von Atem befeuert, ein Lodern rings um ihn, und er trampelte so kräftig, dass Furche und Kruste brachen, spürte die Kraft des Speers, und dann sprang er. Er sprang in die Wand, sprang mit dem Kopf voran schreiend durch die Luft und bohrte diesen Speer in die Wand, in die Geisterfestung, dass er abprallte, und er flog und knallte mit Schulter und Kopfgegen die Wand und fiel zu Boden und stand wieder auf. Aaaah!, brüllte er. Aaah! Seine Hand ein lebendiges Etwas, ein wimmelnder Schmerz.
    Er nahm den Speer, kehrte an seinen Platz zurück und fuhr fort mit dem Stampfen. Derselbe Flecken Erde, seine Wucht durch die Kruste hindurch spürbar, in Stoßwellen weit hinunter. Er sammelte sich wieder, Schritt und Takt und das leise, tiefe Grunzen, er spürte seine Quelle, die Energie, die aus seinem Innersten kam. Er würde alles nutzen, um die Geistermauer zu durchbrechen. Er würde zurückgehen, den Kreis schließen und aus einer anderen Zeit wiederkehren.
    Galen stampfte im Kreis und schüttelte den Speer. Die Schatten lang, Walnussbäume wie Wachposten, die ihr wahres Selbst über die Furchen warfen. Darauf hatten sie gewartet, mehrere Leben lang, auf ihn, auf sein Kommen. Sie würden sich aus ihren Schatten auf der Erde erheben, und daraus würde ihre Gestalt erwachsen. Nicht die Gestalt eines Baumes, nicht die unserer Vorstellung, sondern eine tiefere Form. Mit Triumphgeheul ergriff Galen seinen Speer. Er hatte in die Welt der Geister geblickt. Es war seine erste wahre Vision gewesen, er hatte gesehen, dass die Bäume sich aus ihren Schatten formen würden, dass sie aus Erde gemacht waren, nicht aus Holz. Vielleicht hatte er es sogar als erster Mensch gesehen, als erster Mensch die Bäume erkannt. Ho!, schrie er, in Würdigung des Geschenks. Er kreiste und trampelte und blickte seitlich auf die langen Schatten um ihn herum, und er begriff jetzt, dass sein Stampfen die Geister der Bäume befreite. Er war der Wegbereiter, er wares, der die Mauer durchbrach. Er bohrte seinen Speer in die Erde und rüttelte beim Tanzen am Schaft, um alles zu lösen, was sie zurückhielt.
    Mit abnehmendem Licht wuchsen sie, und sie würden unmöglich hoch aufragen, große, dunkle Erdpräsenzen, die in den Himmel strebten. Sie würden Meilen zurücklegen mit jedem Schritt, Kontinente durchmessen. Sie würden ihn tragen, heben und werfen.
    In halbwachem Zustand lebte Galen in einer Doppelwelt, sah die Präsenzen und war doch noch an Erscheinungen gekettet. Er durfte nicht zu lange auf einen Schatten sehen, weil der sonst zum bloßen Schatten wurde und Erde bloß Erde war. Er musste seinen Blick bewegen, sich drehen und kreisen. Von Feuer umhüllt, seines Atems beraubt, mit schwindenden Kräften, doch erstarkendem Geist.
    Galen merkte jetzt, dass er sang, ein tiefes, kehliges Lied, ein Lied des Werdens. Während er seine früheren Leben um sich scharte, erkannte er, dass sie die Zeit selbst waren. Er beschwor die Zeit und das Sein im letzten Schub seines Werdens.
    Und jetzt fürchtete sich Galen vor dem, was hier geschah. Das Schamanische war anders als das Meditative. Beim Erdeschaufeln hatte er sich auf das Werfen und Fallen konzentriert und auf das Nichts. Es war eine Zerstreuung gewesen. Dies hingegen war eine Sammlung, etwas ganz anderes, etwas Beängstigendes, weil es genau der falsche Weg sein mochte, eine Finte. Wie konnte Werden das Ziel sein? Loslösung sollte doch das Ziel sein, und Lösen war nicht dasselbe wie Werden.
    Galen kreiste und stampfte, aber er war erschöpft und verwirrt. Er verstand nicht, wie das alles zusammenpasste, und seine Verwirrung hatte die Geister verscheucht. Ihm war heiß, er war müde und nass und schlammig, und die Schatten der Bäume waren bloß Schatten, und alles war so schnell und so schrecklich in sich zusammengefallen. Er spürte die Knochen

Weitere Kostenlose Bücher