Drei Eichen (German Edition)
wütend seine Waffe und schoss zwei Mal gezielt auf die knallrote Sirene an der Scheunenwand, bis von ihr nur noch ein erbärmliches Krächzen zu hören war.
In den Ohren der beiden Kommissare klingelte es trotz der plötzlichen Stille weiter. Lagerfeld hatte zwar keine Ahnung, wie viel Dezibel die Sirene gehabt hatte, aber eins war sicher: Ein startender Airbus A 380 war ein Dreck dagegen. Sie rieben sich simultan die Ohren, doch Haderlein schaffte es dabei sogar noch, eine Fahndungsmeldung nach einem orangefarbenen BMW älterer Bauart an Honeypenny durchzugeben. Dann wurde aus dem Klingeln in seinem Ohr allmählich ein Rauschen und aus dem Rauschen eine Art Stöhnen. Als ob die eustachische Röhre im Ohr mitsamt Hammer und Amboss verzweifelt nach Hilfe rufen wollte, es aber nicht konnte. Lagerfeld bemerkte als Erster, dass das Stöhnen gar nicht im Inneren seines Gehörs, sondern von externer Angelegenheit war. Angestrengt lauschend versuchte er die Geräuschquelle zu lokalisieren, als er etwas entdeckte. Von der Hebebühne der Scheune, die etwa zur Hälfte nach oben gefahren war, hing vorn ein Arm herunter, von dem es blutig tropfte. Oberhalb des Armes schauten ihn die verzweifelten Augen eines älteren Mannes an, in dessen Kopf fatalerweise ein Pfeil steckte. Der Anblick, welcher sich Lagerfeld in diesem Moment bot, war derart fremdartig, dass er für eine Sekunde außerstande war zu reagieren. Erst als sich die Augen des Mannes bewegten und wieder das dumpfe Stöhnen zu hören war, setzte Lagerfeld sich in Bewegung.
»Franz, einen Krankenwagen, schnell!«, schrie er und spurtete in Richtung Scheunenmitte. Auch Haderleins Gehirn brauchte einen Moment, um die Situation zu erfassen, dann aber flogen seine Finger über die Tasten des Mobiltelefons.
Die Boeing hatte Atlanta bereits mehrere Flugstunden hinter sich gelassen, Zeit, die Byron Gray genutzt hatte, um sich noch einmal eingehender mit der Gesamtsituation zu befassen. Seiner Fernanalyse zufolge hatten die Irren in Europa auf eigene Faust gehandelt und über die Jahre ihre ganz persönliche Jagd veranstaltet. Das war wohl lange Zeit gut gegangen, aber jetzt war jemand ihrem Hobby auf die Spur gekommen. Jemand, der dieses Hobby nicht für gut befunden hatte, sodass nun die Jäger zu Gejagten geworden waren. Dumm gelaufen. Byron Gray musste bei dem Gedanken an den so offensichtlichen Dilettantismus lächeln. Nun gut, damals hatte er allen Beteiligten seiner Ausbildung klargemacht, dass spätere Eigenmächtigkeiten dazu führen würden, dass irgendwann irgendwer bei ihnen auftauchte, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. Und dabei hatte er nicht an die Polizei gedacht, sondern an sich persönlich. Code Red.
Sein Handeln erfolgte aus purem Selbsterhaltungstrieb. Sollten seine Auftraggeber, die diese sehr spezielle Jagdausbildung bei ihm in den Smoky Mountains finanzierten, von den Kalamitäten in Europa Wind bekommen, war er fällig. Das war so sicher wie das gesungene Amen in einer presbyterianischen Kirche.
Um das zu verhindern, würde er alle Beteiligten finden und sämtliche Spuren, die zu ihm führen konnten, beseitigen müssen. Immerhin hatte er alle Namen, die er brauchte, und einen Zeitpunkt sowie einen Ort, an dem er sie alle antreffen würde. Das Einzige, was ihm fehlte, war der Name des geheimnisvollen Bogenschützen, der seit Kurzem als Rächer sein Unwesen trieb. Vielleicht würde es noch etwas dauern, aber fest stand, dass er auch ihn finden würde. Soweit er das überblickte, war die Zahl der Menschen mit einem möglichen Motiv doch sehr begrenzt.
Wenn er in Frankfurt gelandet war, würde er sich am Flughafen ein Hotelzimmer nehmen. Von dort aus konnte er alles organisieren, und am nächsten Tag würde er dann Joe aufsuchen und sich mit ihm über die Sache in allen Einzelheiten austauschen. Natürlich wusste Joe noch nicht, dass auch er sterben würde. Entweder durch den geheimnisvollen Bogenschützen oder durch ihn, durch Byron Gray. Eigentlich war alles gar nicht so kompliziert. Er verspürte Lust auf einen Kaffee und winkte eine der Stewardessen zu sich, die für die Businessklasse zuständig waren.
Lagerfeld hatte den kleinen Umweg über die Balkenkonstruktion der Scheune genommen, sodass er von oben auf die breite Fläche der Hebebühne springen konnte. Was er dort sah, hatte definitiv Potenzial für einen Horrorfilm. Ein älterer Mann mit grauschwarzen Haaren und einem kurzen, struppigen Vollbart lag bäuchlings auf der Rampe. Sein linker
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