Drei Eichen (German Edition)
stellte sich vor, setzte sich eine Kirchenbank weiter und wollte die arme Frau befragen. Doch schon die erste Frage nach ihrem Namen endete in einem emotionalen Desaster.
»Susanne Simon …« Sie stockte einen Moment, dann schossen ihr die Tränen in die Augen. Unter lautem Schluchzen brachte sie noch ein »Susanne Wagstetter« heraus, dann war sie mit ihrer nervlichen Belastungsfähigkeit am Ende und musste von dem Psychologen und ihrer Schwester getröstet werden. In ihrer Verwirrung war ihr anscheinend noch nicht bewusst, dass sie kraft der schon stattgefundenen standesamtlichen Trauung jetzt den Familiennamen eines Toten trug. Die nicht mehr vollzogene kirchliche Trauung änderte nichts daran. Doch für solche Schlussfolgerungen stand die Frau noch zu sehr unter Schock. Haderlein konnte verstehen, wieso Lagerfeld so prompt das Weite gesucht hatte, und beschloss, erst einmal den geordneten Rückzug anzutreten. Aus der armen Frau war im Moment keine sinnvolle Aussage herauszubekommen. Er drückte noch einmal seine Anteilnahme aus, dann verabschiedete er sich so unauffällig wie möglich.
Als er die Adelgundiskapelle verließ, bemerkte er etwas an der Tür, was er beim Hineingehen übersehen hatte. An einem etwa zwanzig Zentimeter langen Stück Paketschnur baumelte ein unregelmäßig geformter Stein von der Größe eines Taubeneies vom Türstock. Er nahm ihn kurz in die Hand und betrachtete ihn genauer. Es war ein rötlich gefärbter Sandstein, der unter Berührung leicht bröselte, also nicht besonders fest war. Kopfschüttelnd ließ er den Türschmuck wieder los. Wahrscheinlich wieder einer dieser neuartigen Bräuche, die böse Geister vom Brautpaar fernhalten sollten. Zu seiner Zeit hatte es so etwas nicht gegeben, dachte sich Haderlein. Was waren das für Zeiten gewesen, als kleine Mädchen dem Brautpaar noch Blumen auf den Weg gestreut hatten? In Gedanken versunken machte er sich zurück auf den Weg in die Staffelbergklause.
Die vor Erregung dampfende Wahlkampfversammlung der Frankenpartei wartete in der Bamberger Konzerthalle ungeduldig auf ihren Vorsitzenden. Die Spannung war greifbar, schließlich war für den nächsten Tag die Abstimmung angesetzt, und es mussten noch etliche Fragen geklärt werden, die der Diskussionsleitung durch ihren Vorsitzenden bedurften. Doch wie der stellvertretende Vorsitzende Manfred Zöder gerade eben telefonisch mitgeteilt bekam, würden sie wohl noch länger auf diesen warten müssen. Auf der Hochzeit, bei der er heute höflichkeitshalber vorbeischauen hatte müssen, war wohl irgendetwas Schlimmes passiert, was Irrlinger am Telefon aber nicht genauer besprechen wollte. Zöder stöhnte auf. Eine absolute Katastrophe.
Sämtliche Kameras der Republik waren heute auf diesen Termin gerichtet, jeder wollte wissen, wie sich die fränkischen Separatisten fühlten, wie sie sich verhielten und was sie der breiten Öffentlichkeit mitzuteilen hatten. Schließlich war es das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass ein offizieller Antrag auf Neuordnung des Bundesgebietes gestellt werden sollte und sich womöglich ein neues Bundesland bilden würde. Und gerade der Initiator, der große Ideengeber dieses Unterfangens, konnte nun zur Abschlussveranstaltung vor der großen Abstimmung nicht erscheinen. Und er, Manfred Zöder, konnte den Anwesenden, ob von der Journaille oder Abgesandte aus ganz Franken, nicht einmal einen Grund dafür nennen.
»Mensch, Gerhard, bist du jetzt vollkommen irre? Das ist die letzte Versammlung vor unserem großen Moment, und du bist nicht da. Wie sieht das denn aus? Ich kann dir sagen, wie das aussieht. Beschissen. Es ist mir vollkommen egal, was auf deiner Hochzeit los ist, du wirst hier gebraucht!« Manfred Zöder war außer sich. Was für ein Dilettantismus und ein unerklärlicher noch dazu. Doch Gerhard Irrlinger blieb ruhig, erzählte etwas von höherer Gewalt und legte schließlich auf.
Irgendwie musste Zöder weitermachen. Es war vierzehn Uhr, der Beginn der Versammlung war überfällig. Immerhin saßen fast tausend Vertreter der fränkischen Bezirke in dem Saal, der normalerweise den Bamberger Sinfonikern vorbehalten war, und wollten Tacheles reden. Über die Abstimmung, über sich, über Franken, Bayern – eigentlich über alles. Es war abzusehen, dass die Veranstaltung ziemlich emotional werden würde.
Nun gut, dann musste wohl oder übel Manfred Zöder den Vorsitz über die kritische Menschenmasse übernehmen, was ihm
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