Drei Eichen (German Edition)
zweieinhalb Wochen. Frau Ledang kam die Treppe runter, hat mir noch schöne Ferien gewünscht und ist dann gegangen. Ich hab noch gehört, wie sie mit ihrem Roller draußen losgefahren ist. Das war’s aber schon, anschließend hab ich sie nicht mehr gesehen. Keine Ahnung, wo die hingefahren ist.« Der Hausmeister atmete tief durch. Er wirkte erleichtert, seinen Text runtergebetet zu haben.
»Kam Ihnen irgendetwas an Frau Ledang anders vor als sonst? War sie vielleicht nervös, traurig oder sonst irgendwie verstört?«, fragte Haderlein nach.
Schurig überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, nichts. Außer dass sie die letzte von allen Lehrkräften war, die gegangen ist. Danach konnte ich den Laden hier zumachen. Wahrscheinlich hatte sie noch irgendwas zu korrigieren. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen.«
»Mit wem hatte sie denn zuletzt Kontakt? Wissen Sie vielleicht, ob sie jemanden besuchen wollte, hat sie sich dahin gehend eventuell geäußert?«, fragte Haderlein erneut nach. Manchmal fiel den Leuten erst etwas ein, wenn er die gleiche Frage modifiziert schon das dritte Mal gestellt hatte. Aber der Versuch war nicht von Erfolg gekrönt.
»Tut mir wirklich leid, Herr Kommissar. Ich habe im Haus niemanden mehr außer Frau Ledang gesehen. Und sie hat auch nichts erwähnt, dass sie jemanden besuchen wollte. Wissen Sie, Frau Ledang war ja auch nicht von hier. Ich glaube, die hatte noch keinen Anhang, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Haderlein verstand nur allzu gut. In seiner Anfangszeit in München war er auch über ein Jahr lang allein lebender Single gewesen. Wie dem auch sei, das Gespräch mit dem Hausmeister würde ihn nicht weiterbringen. Alles, was er zu sagen hatte, hatte er auch schon vom Direktor der Schule erfahren. Nicht weiter erhellend.
»Also gut, Herr Schurig, dann will ich Sie nicht weiter belästigen. Falls Ihnen noch etwas Wichtiges einfällt, können Sie mich über die Schulleitung erreichen, die haben meine Nummer.« Er stand auf und reichte Schurig die Hand. Die war zwar nun nicht mehr fettig, dafür aber verschwitzt. Auch nicht besonders angenehm.
Haderlein packte die Unterlagen zusammen und ging zu seinem Auto. Schon unterwegs suchte er in der Personalakte nach der Adresse der Lehrerin. Altenburger Straße 14. Die lag zwar luftlinientechnisch nicht weit vom Gymnasium entfernt, aber mit dem Auto musste er sich bestimmt wieder durch einhunderttausend Einbahnstraßen und über vierundachtzig Hügel seinen Weg suchen.
Tatsächlich fand er die Altenburger Straße fast auf Anhieb. Seiner eigenen Einschätzung nach eine navigatorische Meisterleistung. Petra Ledang wohnte im ersten Stock. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, öffnete niemand, als er klingelte. Aber er hatte ja den Zweitschlüssel von der Vermieterin bekommen. Hoffentlich musste er sich jetzt nicht mit einem Fall von Selbstmord beschäftigen. Das war gar nicht so unwahrscheinlich, nicht selten fand man den Vermissten mit einem Abschiedsbrief tot in seiner eigenen Wohnung auf. Doch die Räumlichkeiten von Frau Ledang waren definitiv leer und verlassen.
Gründlich inspizierte Haderlein jeden Raum der Drei-Zimmer-Wohnung, aber es war nichts zu finden, was auf ein Verbrechen hingedeutet hätte. Die Wohnung wirkte so aufgeräumt, als hätte sie jemand erst kürzlich einer Generalreinigung unterzogen. Nirgendwo lag Abfall herum, kein Staubkorn weit und breit. Lediglich der Briefkasten war voller Werbung. Einen Anrufbeantworter gab es nicht, der Kühlschrank war halb gefüllt, aber auf dem Wurstaufschnitt zeigten sich erste Anzeichen von Schimmel, und aus der halb vollen Milchtüte roch es leicht verdorben. Auch die eine oder andere Kübelpflanze ließ mangels Wasser die Blätter hängen. Alles deutete darauf hin, dass in letzter Zeit niemand in der Wohnung gewesen war. In einer der Schreibtischschubladen fand Haderlein Personalausweis und Reisepass von Petra Ledang. Das hieß, dass sie Deutschland nicht verlassen haben konnte, und wenn, dann nur ohne Pass und mit viel Glück. Doch nichts wies auch nur irgendwie auf eine geplante Abwesenheit hin. Petra Ledang war einfach nicht mehr da. Sie war ohne erkennbaren Anlass verschwunden.
Also gut, dann würde er erst einmal einen Bericht schreiben und seinem Chef raten, eine offizielle Vermisstenmeldung herauszugeben. Er schloss die Tür wieder ab und sprach noch einmal mit der Vermieterin. Niemand durfte die Wohnung vorerst betreten. Auf dem Küchentisch hatte er
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