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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Bewegung. Hinter sich hörte sie die Autotür, und im gleichen Augenblick erklang ein scharfer Befehl: »Tex! Zurück!« Der Hund stoppte, stellte die Ohren auf, ließ dann den Kopf hängen und machte kehrt. Giulietta drehte sich um und sah Lutz am Wagen stehen, die Lederjacke halb ausgezogen und zum Teil schon um den linken Unterarm gewickelt, in der rechten Hand den Feuerlöscher.
    Der Hund verschwand im Haus. Im Türrahmen war ein Mann erschienen und schaute sie misstrauisch an. Giulietta ging auf ihn zu. Sie hatte bis zu diesem Augenblick nicht gewusst, wie sie sich bei dieser Begegnung verhalten sollte. Doch jetzt hatte sie keine Zweifel mehr, dass sie einen Verwandten ihres Vaters vor sich hatte. Die Ähnlichkeit war frappierend. Noch bevor sie nah genug herangekommen war, um das Gesicht dieses Menschen genau mustern zu können, wusste sie, dass sie an der richtigen Adresse war. Der Mann vor ihr musste ihr Onkel sein.
    Sie trat direkt vor ihn hin und streckte die Hand aus. »Guten Tag. Herr Loess? Ich heiße Giulietta. Ich bin die Tochter von Markus Loess … Ihrem Bruder, nicht wahr?«
    Der Mann starrte sie an wie einen Geist. Dann sagte er nur ein Wort.
    »… Markus …?«
    »Dürfte ich Sie einen Moment sprechen?«

13
    Z wei Stunden später saßen sie noch immer am Esstisch der engen Stube. Lutz hatte es sich in einem Sessel in der Nähe des Kamins bequem gemacht und döste vor sich hin. Eine Weile lang hatte er unaufmerksam das Gespräch verfolgt, war dann jedoch angesichts der wohligen Wärme eingeschlummert. Die Dogge lag zu seinen Füßen und zuckte nur manchmal mit den Ohren.
    Giulietta und Konrad Loess saßen sich am Esstisch gegenüber. Die Unterhaltung war ins Stocken geraten. Konrad Loess schenkte ihr Kaffee nach und zog eine Zigarette aus dem Päckchen auf dem Tisch. Im Aschenbecher lagen bereits acht Kippen, aber er machte keine Anstalten, ihn auszuleeren.
    Dann wiederholte er den Satz, den er schon mehrfach voller Erstaunen ausgesprochen hatte: »Dass er dir davon nie erzählt hat …«
    Giulietta musterte ihn, das runde Gesicht, die untersetzte Figur, den speckigen Overall, die abgearbeiteten Hände mit den schmutzstarrenden Fingernägeln. Aber die Ähnlichkeit mit ihrem Vater war unübersehbar. Die gleiche von Jugendakne verwüstete Haut. Die hellen Augen, der quadratische Unterkiefer. Und die vollen Haare.
    »Weißt du«, sagte er jetzt, »der Markus hat das mit den Eltern nie verkraftet. Danach ist er irgendwie böse geworden, richtig böse, aber es war nicht seine Schuld.«
    »Wie alt war er denn, als das geschah?«, fragte Giulietta.
    »Dreizehn oder vierzehn. 1960 war das. Im März. Da kamen die Werbetrupps aus Rostock. Drei oder vier Mann, die gingen von Hof zu Hof und haben die Leute zur Unterschrift gezwungen. Zwangskollektivierung. Mein Vater hat sich bis zum Schluss geweigert. Der Markus war wie versteinert, als das losging mit dieser Großraumwirtschaft. Er wollte ja ursprünglich auch einmal Bauer werden. Ich habe ihn in den Tagen damals am Weiher auf der Bank sitzen sehen. Hat geheult wie ein Schlosshund. Er ist viel sensibler als ich, weißt du. Ich habe mir nie etwas vorgemacht. Er schon. Aber ich war auch ein ganzes Stück älter.«
    »Und dann?«
    »Dann haben sie zu Vater gesagt, wenn du nicht unterschreibst, zäunen wir alles ein und mauern die Kamine zu. Die konnten ja machen, was sie wollten.«
    Giulietta versuchte sich ihren Vater vorzustellen, als kleinen Jungen, weinend auf einer Bank an einem Weiher. Aber es gelang ihr nicht.
    »Aber das Schlimmste war, als sie das Vieh abholten. Ein Bauer und sein Vieh … das versteht ein Städter gar nicht. Die Pferde, die Kühe, alles ab in die LPG . Die bekamen dort nur noch Dreck zu fressen. Das konnte man gar nicht mit ansehen. Dann ging das mit meiner Mutter los. Magenkrebs. Drei Monate später war sie tot. Vater hat das nicht verkraftet. Im April ’61 hat er sich aufgehängt.«
    Er machte eine Pause und fügte hinzu. »Markus hat ihn gefunden. Danach war nichts mehr mit ihm anzufangen. Hat er dir das nie erzählt?«
    Giulietta schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Ich habe ihn später im leeren Stall beim Holzspalten beobachtet. Er schlug auf die Scheite ein wie ein Irrer. Ich fragte ihn, was er da mache. Köpfe spalten, erwiderte er. Kommunistenköpfe. Er war ein wenig durchgedreht. War nichts mehr mit ihm anzufangen. Ist er immer noch so verschlossen?«
    »Nein. Eigentlich nicht.«
    »Was macht er denn beruflich?«
    »Er

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