Drei Tage voller Leidenschaft
Gott sei Dank hatte er, wie oberflächlich auch immer, bemerkt, wie Iwan sich begeistert darüber ausgelassen hatte.
Alisa sprach nun viel freier mit Nikki, nachdem ihm sein Versuch, sie aus trübsinnigen Erinnerungen zu reißen, gelungen war. Sie erklärte ihre Bewunderung für diese neuen Maler, die mit technischer Brillanz gesellschaftlich wichtige Themen, historische Szenen und Originallandschaften behandelten, die nicht nur hinreißend waren, sondern auch aufs Perfekteste wiedergegeben wurden.
Alisa glühte vor Begeisterung, als er über den Mut sprach, die Kramskoy und eine Gruppe Studenten aufgeboten hatten, um wegen eines Disputs über die Themen aus der Akademie auszutreten. Wie die ›Meuterei der 13‹ zu den ›Peredwischniki‹, den Wanderern geworden waren, die ihre Methode auf N. Tschernyschews revolutionäres Buch ›Ästhetische Beziehungen zwischen Kunst und Wirklichkeit‹ begründeten, in dem die Überlegenheit der Wirklichkeit über deren Darstellung in der Kunst betont wurde.
»Wissen Sie, meine Eltern malten ebenfalls nach der Natur, im Freien, und nicht ausschließlich im Studio. Das war in ihrer Generation revolutionär, aber sie kannten viele französische Maler, die in Barbizon Urlaub machten und stets im Freien arbeiteten …«
»Ach, ja, die Speerspitze der … wie nennt man doch diese Maler in Paris? … die Impressionisten?«
»Ja, genau!« bestätigte Alisa entzückt. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte sie kein einziges Mal Gelegenheit gehabt, über Kunst zu sprechen. »Und Repin …«, rief sie begeistert, »diese Themen! Da treten einem die Tränen in die Augen.«
»Sein neues Bild ›Wolga-Schiffer‹ ist gerade nach drei Jahren Vorbereitung fertig geworden. Es ist absolut umwerfend«, sagte Nikki.
»Oh!« hauchte Alisa erneut völlig hingerissen und plauderte nun ohne jegliche Zurückhaltung. Nikki brauchte nur ab und an angemessene Laute der Zustimmung zu murmeln, denn er war glücklicherweise in Dingen der Kunst nicht gänzlich unbedarft. Zwei Jahre lang hatte er in Paris gelebt und häufig ausgedehnte Reisen durch Europa unternommen. Da er vom Wunsch Gräfin Amalienborgs, bei Avantgarde-Ereignissen der Gesellschaft stets gesehen zu werden, in alle Kunstausstellungen geschleppt worden war, wußte er, was Sehen bedeutete. Hinter Nikkis meist gleichgültiger Haltung lag ein scharfer Verstand und eine Wahrnehmungsfähigkeit, die kaum ihresgleichen kannte. Er sah viel, ohne daß es irgend jemandem auffiel. Als er die Schischkin-Landschaft erwarb, hatte er impulsiv noch ein kleines Stilleben von Sawrassow erstanden, das er dann seiner Mutter geschenkt und bis zu diesem Augenblick völlig vergessen hatte.
»Ich habe in der Bibliothek des Jagdschlößchens ein paar Kataloge. Da hängt übrigens auch die Landschaft von Schischkin«, log er nun. »Vielleicht kommen Sie einmal am Nachmittag zum Tee herüber und schauen Sie sich an«, schlug er beiläufig vor. Er würde noch heute abend eine Nachricht an Iwan in Petersburg schicken und die Kataloge und das Gemälde in aller Eile herschicken lassen, wo immer sie gerade herumlagen.
»Nein, nein!« rief Alisa nun höchst erregt. »Das geht nicht … es tut mir leid …« Sie brach den Satz fast panisch ab.
Waren seine Absichten denn so leicht zu durchschauen, fragte sich Nikki mit Unbehagen und beschloß, sie nicht weiter zu drängen. Daher wechselte er rasch das Thema und übte seinen ganzen Charme aus, um die starke Beunruhigung zu zerstreuen, die seine Einladung ausgelöst hatte.
Nikki konnte nicht ahnen, daß Angst vor dem Ehemann, nicht vor Nikki, diese ungewöhnliche offene Furcht heraufbeschworen hatte. Waldemar Forseus hatte Alisa in der letzten Zeit zweimal geschlagen, nicht sehr heftig zwar, aber genug, um sie sehr zu erschrecken. Nach Jahren fast völliger Gleichgültigkeit seit der Geburt ihrer Tochter hatte Forseus aufs neue begonnen, sie mit bizarren und unwillkommenen Forderungen zu belästigen.
Alisa war voll Angst und wurde jeden Tag sicherer, daß sie binnen kurzem mit ihrer Tochter den Mann verlassen müßte, ungeachtet der damit verbundenen Konsequenzen. Die letzten Monate waren immer unerträglicher geworden, und sie fragte sich nun täglich, wie lange sie es noch aushalten konnte.
Nikki beschränkte sich in der nächsten Viertelstunde auf höfliche und unverfängliche Themen, und es gelang ihm schließlich, Alisas Lebhaftigkeit wieder herzustellen und ihr köstlich ungekünsteltes Lächeln erneut auf ihre Lippen
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