Drei Tage voller Leidenschaft
Forseus. Haben Sie sich das Malen selbst beigebracht oder bei jemandem studiert?«
Alisa gab keine Antwort.
»Bitte setzen Sie sich doch«, bat er sie herzlich und schlug mit der flachen Hand auf das Gras, aber sie kniete immer noch.
»Es ist ein so schöner Frühlingstag, daß ich impulsiv beschloß, die Freuden der Natur zu genießen, und als ich Sie hier sitzen sah, mußte ich Sie in Ihrer Beschäftigung stören. Bitte verzeihen Sie mir diese Unverschämtheit.« Dabei lächelte er sie freundlich an, um seine Lüge zu überdecken.
Nun versuchte er mit aller Erfahrung und Geübtheit, ihre Unsicherheit zu verscheuchen. Was würde sie nun sagen, wenn sie nicht völlig unhöflich sein wollte?
»Es besteht kein Grund zur Entschuldigung, Prinz Kuzan. Sie haben recht«, sagte sie, während sie sich steif im Gras niederließ, aber in einiger Entfernung von ihm, was Nikkis Aufmerksamkeit nicht entging. »Das Wetter ist für diese Jahreszeit bemerkenswert schön.«
»Haben Sie irgendwo Malerei studiert?« fragte er höflich noch einmal.
»Oh, nein, ich bin nie über Helsinki hinausgekommen, aber meine Eltern haben in Paris studiert. Sie haben sich dort kennengelemt – beim Skizzieren im Louvre. Beide waren meine Lehrer, aber Vater betrachtete die Malerei eher als Hobby, und interessierte sich mehr dafür, die historischen Hintergründe der Kalevala zusammenzutragen. Er hat fast sein ganzes Leben dieser Aufgabe gewidmet und vierunddreißig Stanzen des Epos zusammengetragen, ehe er und Mutter starben …«
Bei diesen Worten flog ein schmerzerfüllter Ausdruck über ihre Züge, und der Satz blieb unbeendet.
Sie war also adlig. Daher ihre edle Schönheit und das flüssige Französisch, dachte er.
»Mein Beileid, Madame. Diese Erinnerung muß sehr traurig für Sie sein.«
Alisa nickte, unfähig zu Worten. Die Erinnerung an den Tod ihrer Eltern konnte sie nach all den Jahren immer noch lähmen und niedergeschlagen machen. Mit sichtlicher Mühe kehrte sie nun in die Gegenwart zurück und fegte Prinz Kuzans Mitgefühl und ihr eigenes Selbstmitleid rasch beiseite. »Das ist alles sechs lange Jahre her. Ich habe mich mit meinem Verlust inzwischen abgefunden.«
Nikki erkannte jedoch, daß dies nicht stimmte, und empfand eine untypische Welle von Mitleid für die so offensichtlich unglückliche junge Frau. Immerhin spielte sie ihm nichts vor, wenn sie über ihre Trauer und den Verlust der Eltern sprach.
»Bei Ihrer Ausbildung interessieren Sie sich doch sicher für die neue Ausstellung der Wanderer«, fuhr er im Plauderton und der Hoffnung fort, sie abzulenken und die leidvollen Gedanken zu vertreiben. »Ich habe letzten Winter eine ungewöhnliche Aufnahme ihrer Werke in Petersburg erlebt.«
Die Ablenkung gelang ihm besser, als er erwartet hatte, denn die Augen und die ganze Miene von Madame Forseus hellten sich unmittelbar auf.
»Die Wanderer! « rief sie. »Sie haben wirklich deren Originale gesehen?«
»Ja, ich habe mehrere Kataloge von ihren Ausstellungen und eine kleine Landschaft von Schischkin.«
Ihre violetten Augen wurden vor Faszination und Aufregung kugelrund. »Wirklich?« hauchte sie voll Staunen. Kindliche Ehrfurcht prägte nun ihre Züge.
Nikki verkniff sich die Bemerkung, daß er an den Wanderern relativ uninteressiert sei – und auch an anderen Malern, um ehrlich zu sein. Er war gegen seinen Willen überredet worden, die Ausstellung zu besuchen, weil seine Geliebte, Gräfin Amalienborg, verführerisch darauf bestanden hatte, und er in genügend guter Laune gewesen war, ihren äußerst angenehmen Methoden der Überredung nachzugeben. Was seinen Erwerb des kleinen Landschaftsgemäldes von Schischkin anging, war der einzige Grund dafür, daß er diesen pompösen Idioten Graf Bortscheff ärgern wollte, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, genau dieses Gemälde zu kaufen. Nikki hatte ungeheure Befriedigung daraus gewonnen, lässig ein Gebot nach dem anderen von Bortscheff zu übertreffen, bis der Graf gezwungen war, aufzugeben und so das Bild verlor.
Sein persönlicher Sekretär, Iwan Dolorosky, hatte gewissenhaft den Ausstellungskatalog ebenso wie alle anderen neuen Bücher, Broschüren und Artikel erworben und sie Nikkis umfangreicher Bibliothek hinzugefügt. Seit dieser Erwerb dem jungen Mann so viel Freude bereitet hatte, hatte Iwan freie Hand für Anschaffungen für die Bibliothek. Nikki erinnerte sich vage, wie Iwan in höchstem Entzücken über die neue Wanderer-Ausstellung gesprochen hatte.
Weitere Kostenlose Bücher