Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Sachen aus Mames Kleiderschrank auszustaffi eren, und stolzierte da mit nicht nur in unserer Wohnung herum, sondern besuchte soauch die Nachbarn. Alles lachte Tränen. Nur einmal ging es schief. Ich hatte mir überlegt, dass ja auch ein bisschen Schmuck zu einem guten Gewand gehört. Und so habe ich Mutters Schmuckschatulle aufgebrochen.«
»Wie denn?«, frage ich.
»Ganz einfach. Mit einer Haarnadel. Dann habe ich mir das Kollier mit den Rubinen um den Hals gehängt und ein paar goldene Reifen um die Arme und wollte so auf die Straße gehen. Sie erwischte mich aber schon auf der Treppe. Da habe ich das erste und einzige Mal in meinem Leben so den Toches versohlt gekriegt, dass mir Hören und Sehen vergangen ist. Eine Woche lang war ich beleidigt und hab mit meiner Mutter kein Wort gesprochen.« Er lacht schallend und hängt die Boa zurück. »Sieh mal da hinten? Sieht das nicht nach einer Toga aus?« Er verschwindet zwischen den Kostümen.
Die Schmuckschatulle. Um die ich sehnsuchtsvoll herumgestrichen bin. Mit einer Haarnadel aufgebrochen. Ein Kollier mit Rubinen. Goldene Armbänder. Goldene Buchstaben ...
Ich laufe hinter ihm her wie elektrisiert. Kann mich nicht bremsen. »Was hat deine Mutter sonst noch alles in ihrem Schmuckkasten?«
Er sieht mich aufmerksam an, den Arm schon beladen mit irgendwelchen rotgesäumten Tüchern und gestreiften Kaftanen. »Genug Klunkern, um beim heutigen Stand der Währung den Alexanderplatz aufzukaufen, vermute ich. Was fragst du?«
»Ich meine«, sage ich stockend, »auch andere – Wertgegenstände?«
Wieder ein Blick. Und wieder Schweigen. Dann: »Irgendetwas ist da noch, nicht wahr?« Seine Stimme ist leise. »Außer der Verwandtschaft und dem Theater und mir – da ist noch etwas, was dich hierhergezogen hat. Was ich nicht weiß. Irgendetwas versteckt Leonie Landau alias Lamedé alias Lasker noch.« Er runzelt die Stirn. »Ich werde schon dahinterkommen. Aber jetzt habe ich dazu keine Zeit. Jetzt müssen wir uns erst einmal ums Theater kümmern.«
Mir ist heiß geworden. Nach der Premiere werde ich ihm die ganze Geschichte erzählen, egal ob er mich für verrückt hält.
»Ja, da ist noch etwas«, sage ich. »Aber erst kümmern wir uns ums Theater, wie du sagst.«
Immer wenn wir mit der Küsserei anfangen wollen, ruft prompt die Mama von irgendwo: »Schloimele, Leonie, wo seid ihr denn? Habt ihr schon was gefunden?«
23
Die Vorbereitungen für das Stück laufen auf vollen Touren. Aber seit mir Schlomo die Schrift gezeigt hat, kommt mir der Buchstabe überhaupt nicht mehr aus dem Kopf – und alles, was damit zusammenhängt.
Während dieser Zeit, bevor die Bühnenproben für mich beginnen, mache ich vormittags meine Arbeit am Spittelmarkt weiterhin. Eines Tages bittet mich Madame, ihr aus dem Salon ein paar Modejournale zu holen. Der Bücherschrank ist nicht gerade reichhaltig bestückt; immerhin gibt es eine Goetheausgabe, die in jedem bürgerlichen Haushalt zu fi nden ist, und eine Reihe von Kinderbüchern, vor allem Heldensagen und Märchen, mit denen man wahrscheinlich den kleinen Schlomo »gefüttert« hat.
Ich habe natürlich auch schon in diesem Schrank gestöbert. Trotzdem ist mir entgangen, dass dort zwischen »Bechsteins Märchen« und »Griechischen Göttersagen« ein grün eingebundenes Buch mit dem Titel »Der Born Judas« steht. Untertitel: Jüdische Legenden, Märchen und Erzählungen, gesammelt und herausgegeben von Micha Josef bin Gorion.
Ich öffne die schwere Eichentür mit den geschliffenen Scheiben, ziehe das Buch vor und schlage es von ungefähr auf; beinah kommt es mir vor, als wenn es sich von selbst aufschlägt.
Mein Herz sitzt mir im Hals. Da steht: »Die Schaffung des Golems«.
»Puppchen, wo bleibst du denn?«, ruft Madame. »Findest du’s nicht?«
Schnell greife ich die Journale, schlage das Buch zu und gehe in die Küche.
»Darf ich das mal lesen, Frau Laskarow?« Ich zeige ihr den Band.
»Du kannst alles lesen, was du fi ndest!«, erklärt die Hausherrin großzügig. »So viel haben wir ja nicht.«
Und so nehme ich denn die Sagen und Legenden mit nach Haus und bin gefesselt bis tief in die Nacht von diesem Buch. (Ich höre nicht einmal, dass mein Vater nach Haus kommt.)
Manches sind einfach Märchen für Kinder oder lehrreiche Fabeln, wie die, die ich in der Schule gelernt habe. Und dann ein ganzer Block von Geschichten über den Golem. Noch einmal, in bildhafter, starker Sprache, erfahre ich diese Legende. Das, was ich
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