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Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1

Titel: Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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mehr hören ihre Klagelieder. Bedrückt hat sie der Feind, aber gekommen ist die Zeit, sie ist nicht mehr weit, das Volk zu befreien ...«
    Als sie fünfzehn war und der Vater noch Arbeit hatte, belegte sie mal einen Stenokurs auf der Abendschule (»Man weiß ja nie, wozu es gut ist!«, womit Harald Lasker sicher meinte: Falls du doch keine große Schauspielerin wirst, kannst du immer noch Sekretärin sein!). Nun kommt ihr das zugute, weil sie die Texte der Dina mitstenografi eren kann, um sie dann zu lernen. Sie ist fix, muss ganz selten den Finger heben, um Schlomo zu bitten, etwas zu wiederholen. Er tut es mit Geduld, ohne sich im Geringsten aus der Stimmung bringen zu lassen.
    Dann kommt er bei den Schlussworten an: »Solange warmes Blut mir in den Adern fließt, steht Zion fest. Und wenn ich muss sterben jetzt ...« Aber diesmal lässt er es dabei bewenden, nutzt die Situation nicht dazu, vorzuführen, was er auf der Bühne macht, wie bei ihrer ersten Begegnung am Frühstückstisch der Laskarows, sondern sagt ganz einfach: »Dann sterbe ich.« Und klappt das Büchlein zu.
    Leonie sieht vor sich hin und dreht den Stift zwischen den Händen. »Und du meinst, ich kann das schaffen?«, fragt sie leise, zwischen Bangigkeit und Hoffnung. »Es ist nur eine Woche Probenzeit!«
    »Zehn Tage!«, verbessert er. »So schwierig ist das nicht. Du liebe Güte, wir sind nicht das Deutsche Theater oder das Schauspielhaus, wo sie sechs Wochen proben und irgendetwas Neues mit ihrer Inszenierung in die Welt setzen wollen. Wir sind bloß so was ...« Er macht eine Pause und sieht sie mit gerunzelten Brauen an, sagt mit Grabesstimme: »... wie eine kleine Vorstadtschmiere.«
    »Warum spielen wir abends nicht einfach weiter die Sulamith und probieren dafür länger?«, fragt sie.
    »Überleg mal! Wir müssten wegen der Proben die Sulamith-Kulissen ja jeden Tag auf- und wieder abbauen. Was das für Zeitverlust ist. Außerdem können wir auch abends arbeiten und sind schneller mit dem neuen Drama auf der Bühne.«
    Er geht vor ihr in die Hocke, federt auf den Fußballen und greift nach ihren beiden Händen. »So können wir uns bei den Proben ganz auf dich konzentrieren und du hast genug Zeit. Du kannst es. Du stehst mit mir auf der Bühne. Denk an die Sulamith. Ich stütze dich. Ich will mit dir spielen. Ach, wie ich mich auf das Stück freue. Ich werde als Bar Kochba leuchten wie ein Licht!«
    Er ist so verfl ucht von sich eingenommen, denkt Leonie. Und zu Recht. Ja, zu Recht. Sie beugt sich vor und drückt ihre Stirn gegen seine. (Mamele rumort am anderen Ende des Hauses.)
    »Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, einen Hamlet zu spielen oder einen Romeo, auf einer großen Bühne?«
    »Dafür ist immer noch Zeit. Jetzt werd ich hier gebraucht. Die da unten im Saal brauchen mich.«
    »Ach, diese wilde Horde!« Sie muss lächeln.
    Er packt ihren Kopf, schiebt sie von sich und sieht ihr ernst in die Augen. »Wie redest du denn von unseren Leuten?«
    »Sei nicht böse, aber sie sind so anders als das Publikum, das ich bisher erlebt habe.«
    Er geht von den Fußballen herunter, setzt sich und kreuzt die Beine. »Lass das bloß nicht meinen Vater hören!«, sagt er scharf.
    »Es sind ...«
    »Es sind die, die gar nichts haben, Leonie.« (Selten war er so tiefernst.) »Die Strenggläubigen, du weißt, die mit den Schläfenlocken,die beschäftigen sich den ganzen Tag mit geistigen Dingen. Sie verbieten Theater generell, das ist für sie Sünde, und sie sperren ihre Frauen weg, damit sie uns nicht heimlich zusehen. Die meisten, die zu uns kommen, die haben nichts für ihren Kopf. Die sind nur mit dem Alltag beschäftigt. Die trinken und handeln und machen krumme Geschäfte und ihre Weibsbilder kommen ihr Leben lang nicht vom Herd und den Kindern weg. Hier kriegen sie nach all der täglichen Armut und dem Dreck am Abend bunte Träume. Alles glänzt und ist groß. Alles ist einfach. Ja oder Nein. Gut oder böse. Man weint und lacht aus den richtigen Gründen.«
    Er verstummt und sieht vor sich hin.
    Leonie hat rote Wangen bekommen. »Sagt das dein Vater?«, fragt sie beeindruckt. Sie schämt sich für ihre Worte.
    »Mein Vater und davor mein Großvater. So haben sie mich erzogen.«
    »Für wen spielt man?«, fragt sie (wo sie nun schon in so nachdenklicher Stimmung sind).
    »Na, für die dicke Frau!«, erwidert er, als sei das das Selbstverständlichste von der Welt.
    Sie versteht nicht. »Was für eine dicke Frau?«
    Nun lächelt er wieder.

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