Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
versucht, Leonie gleichsam einen Steckbrief davon zu geben, wonach man suchen muss, haben beschrieben, wie die Sachen aussehen.
»Römisch muss es sein! Und dann so Kaftane und Turbane! Und Sandalen! Jede Menge Sandalen!«
Alsdann zückt die Frau des Hauses einen großen Schlüsselbund und hat beim vierten Versuch den richtigen Schlüssel gefunden.
Sie treten ein und der Prinzipal schaltet das Deckenlicht an. Es ist stickig und riecht nach Staub und dem Kampfer von Mottenkugeln. Leonie blickt sich um. Zwei Säle voll Sachen! Dicht an dicht hängen auf Garderobenständern buntgemischte Klamotten aller Zeiten und Stilrichtungen: grellfarbiger Flitterkram neben Mönchskutten, Fräcke neben japanischen Kimonos, billige Abendkleider neben Bauernkostümen mit Schürzchen und besticktem Mieder. Was für Stücke hat denn das Künstler-Theater Laskarow um Gottes willen schon aufgeführt?
Kann man hier überhaupt etwas finden? Einen Buchstaben gar?
Trotzdem: In Leonie erwacht das Jagdfi eber. Was für eine Herausforderung!
»Also eigentlich sollte ich da nicht ohne Mundschutz reingehen!«, erklärt der Hauptdarsteller. »Was, wenn ich heute Abend keine Stimme mehr habe?« (Die Stimme der anderen beiden Akteure scheint nicht so wichtig zu sein.) Was die Mutter zu derzärtlichen Replik veranlasst: »Och Schloimele, sei nicht asoi!«, womit das Thema vom Tisch ist.
»Finden wir hier auch«, fragt Leonie »das Textbuch zum Stück? Ich muss ja schließlich die Rolle lernen, diese Dina.«
Betretenes Schweigen. Offenbar tut sich da plötzlich ein Problem auf, an das vorher noch keiner gedacht hat.
»Bücher gibt es schon«, sagt Mendel gedehnt. »Aber ob du auch kannst lesen?«
Um Schlomos Mundwinkel zuckt es. »Ich zeig dir, wo die Textbücher sind, ja?«
Er winkt ihr mit einer Kopfbewegung zu folgen. Ganz hinten, nachdem sie sich zwischen zwei Reihen Kostümen hindurchgeschlängelt haben, steht an der unverputzten Wand ein hölzerner Schrank mit Glaseinsatz. Hinter den verstaubten Scheiben sieht Leonie eine Unmenge Krempel (das muss sie alles irgendwann sichten), von beschädigten Uhren über Kaffeemühlen und Vasen bis zu Leuchtern, die sie entfernt an die schönen Silberleuchter in Isabelles Turmzimmer erinnern, auch uralte Gewürzdosen und Unmengen von Schachteln aus schwarzfl eckigem Blech. Ganz oben, im obersten Regal, entdeckt sie eine Reihe grau eingebundener dicker Hefte, vielleicht ein gutes Dutzend.
Schlomo öffnet die leicht verquollene Doppeltür des Schranks und deutet mit großer Geste darauf: »Voilà, unsere Bibliothek!«
Da er zu klein ist, um ohne Hilfe dahin zu gelangen, zieht er sich eine leere Kiste heran, stürzt sie um und steigt rauf. Er nimmt die Hefte eins nach dem anderen heraus.
»Der wilde Mensch«, liest er die Titel vor, »Die Hochzeit per Spaß ... Azaria ... Die böse Frau – darin hatte ich meine erste Rolle, ich war fünf, glaube ich ... Chanele die Näherin. Da haben wir’s: Bar Kochba.«
Er springt von der Kiste, das Heft in der Hand. Seine Augen glänzen vor Übermut. »Und jetzt erschreck dich nicht.«
Leonie nimmt das dicke graue Teil entgegen und will es aufschlagen.
»Andersherum«, sagt Schlomo freundlich.
»Wie: andersherum?«
»So herum.« Er zieht ihr das Heft wieder weg und hält es ihr so hin, dass der Rücken nach rechts zeigt. Und da ist der Titel ...
Leonie sieht ihn ungläubig an, der Mund steht ihr offen. Die Textbücher der jiddischen Stücke sind in hebräischen Lettern gedruckt.
»Gibt’s das nicht auf Deutsch?«, fragt sie hilfl os.
Schlomo legt mitleidig den Kopf schief. »Das ist Deutsch«, erwidert er, »Jiddisch-Deutsch, allerdings geschrieben mit unseren Buchstaben. Und wird von rechts nach links gelesen. Und von hinten nah vorn.«
»Alle Textbücher?«
»Alle. Ohne Ausnahme.«
Jetzt schießen ihr die Tränen in die Augen. »Und wie soll ich da meine Partie lernen?«
Auf einmal fi ndet sie sich in seinen Armen wieder.
»Nicht weinen!«, flüstert er und wiegt sie hin und her. »Wir machen etwas ganz Schönes. Ich werde dir das ganze Stück vorlesen. Und deine eigenen Texte, die der Dina, schreibst du dir auf. Du lernst doch so schnell. Du schaffst das.«
Sie schiebt ihn von sich. Ihre Augen blitzen zornig unter den Tränen. »Warum hast du mich so – so in die Falle tappen lassen? Wolltest du mich foppen?«
»Ja«, sagt er schamlos und mustert sie. »Wie hübsch du bist, wenn du wütend wirst, Duschenju. Noch hübscher als sonst.«
Er
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