Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
fließt, steht Zion fest!«
Auf einmal überläuft mich ein Schauder. Aber wovor habe ich Angst?, versuche ich mich wieder zu beruhigen. Wir spielen vor unserem Publikum, und wenn sich wirklich ein paar »andere« ins Hotel Oberländer verirren, dann haben die doch keine Chance!
»Aber die Dekorationen!«, wirft Madame ein, in der Hoffnung, ihre beiden Männer doch noch umzustimmen. »Das ist doch fast alles hin!«
»Vielleicht fällt mir was ein!«, sage ich.
Meine Idee werde ich aber, wie sich das gehört, zunächst dem Chef des Hauses unterbreiten.
Allerdings stößt, was ich mir denke, zunächst auf Unverständnis und Widerstand beim Prinzipal. Ich schlage ihm nämlich vor, es so zu machen wie die Theaterregisseure an den großen Häusern der Stadt. »Am Schauspielhaus läuft eine Aufführung von Schillers ›Wilhelm Tell‹«, sage ich, »da gibt es keine Berge und keine Schluchten, sondern nur Treppen und Podeste. Alles aus der Schweiz ist nur angedeutet. Und die Schauspieler haben moderne Kostüme an, wie von der Stange gekauft.«
»Wozu soll so was gut sein?«, fragt Mendel Laskarow und sieht mich mit gerunzelten Brauen an, als wir uns auf der Bühne zwischen den Restkulissen des »Bar Kochba« hindurchbewegen. »Das Stück spielt zur Römerzeit, wie können wir da was von heute reinholen?«
Ich muss innerlich lachen. Die »römischen Togen« bei Laskarows Künstler-Theater (wie die des Statthalters Rufus im Stück) hatten Streifen aus Schottenkaro, und Serafi na, die Frau des Römers, meine Gegenspielerin, sollte einen Kopfputz mit wallenden Straußenfedern tragen, wie am Hof des Sonnenkönigs. Wo bleibt da die »Echtheit«? Und ich sage: »Aber Herr Laskarow, das kann uns doch nur helfen! ›Kampfparolen‹ gegen die Obrigkeit!, der Zeitungsschreiber hat ja recht! Wir zeigen dem Publikum, dass wir nicht bloß eine alte Geschichte vorstellen, sondern dass uns das wirklich angeht, was da passiert. Dass es mit Menschen zu tun hat, die auch heute leben könnten!«
Und ich dringe weiter in ihn: »Überall auf dem Theater in Berlin wird das gemacht, nicht nur am Gendarmenmarkt. Piscator macht’s an der Volksbühne. Jessner macht’s. Reinhardt macht’s am Deutschen Theater! Das Künstler-Theater Laskarow ist doch eben keine Schmiere!«
Er läuft rot an. Offenbar fühlt er sich an seiner Ehre gepackt, obwohl er sagt: »Ich kenn die Herren Kollegen gar nicht.« (Das ist offensichtlich gelogen, denn er studiert in den Zeitungen nicht nur die Rubrik Politik.) Dann fragt er. »Und wie soll das gehen?«
»Nun«, sage ich, »das Serafi na-Kostüm ist ja hin?«
Er nickt grimmig. »Bester Taft. Und teuer wie die Sünde. Das kann ich gar nicht nachkaufen heutzutage!«
»Fräulein Guttentag soll doch so eine reiche römische Frau darstellen, so etwas wie eine pommersche Gutsherrin, eine, die auf die Juden herabblickt, egal, wie klug oder reich oder wichtig sie sind, nicht wahr?«
Er nickt.
»Warum soll sie dann nicht genauso aussehen wie solche Frauen, damit unser Publikum gleich merkt, was wir damit zeigen? Warum kann Fräulein Guttentag nicht ihr Kleid aus dem Bunten Abend tragen, mit einer dicken Perlenkette um den Hals? Und außerdem, Herr Laskarow: Wenn wir jetzt zeigen, dass wir spielen, obwohl man uns die Hälfte der Dekoration zerschlagen hat – heißt das nicht auch: ein Zeichen setzen?« (Ich rede wie ein Buch.)
»Ja!«, sagt er zögernd. Und stellt dann die Frage aller Fragen an Laskarows Künstler-Theater: »Was sagt denn der Heldendarsteller dazu?«
»Der findet das eine gute Idee«, lüge ich. Ich habe noch gar nicht mit ihm darüber gesprochen.
Schlomo schüttelt entgeistert den Kopf, als ich ihm meine Gedanken über die moderne Dekoration erzähle.
»Das ist ein vollkommen verrückter Einfall! Wir setzen uns so tief in die Nesseln, Leonie, dass uns noch monatelang die Haut brennen wird!«
Wir sind im Café Anthieny, Ecke Weinmeisterstraße und Alte Schönhauser, eingekehrt, um zwischen zwei anstrengenden Proben eine Schokolade zu trinken. Heiße Schokolade macht munter und gibt Kraft. Sonst ist kaum ein Tisch zu bekommen, aber jetzt, am frühen Nachmittag, sitzen nur wenige Besucher herum; ein paar Hausfrauen, die vom Einkauf kommen, drei Geschäftsleute mit Aktentaschen, alles nach Schlomos rascher Einschätzung »Goien«, keine Juden. Zwei Globetrotter unterhalten sich in lautem ungeniertem Englisch; wie es aussieht, visitieren sie das exotische »fi nstere Viertel«.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher