Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
ja sein, dass keiner mehr wusste, welchen Wert er wirklich hat, der Buchstabe. Also, ich meine den Goldwert. Vielleicht ...«
»Vielleicht«, nimmt Leonie den Faden auf, »wenn deine Mutter den Fundus plündert für ihre Schmuckschatulle ...«
»... könnte andererseits im Fundus auch einmal was Echtes sein ...« Seine Augen weiten sich.
»Ja, natürlich!«, flüstert er. »Das muss unser nächster Schritt sein. Aber das geht nun wirklich erst nach der Premiere. Du weißt ja selbst, wie viel Kram da herumliegt! Das dauert, ehe wir da durch sind!«
Das weiß sie. Aber der Buchstabe muss bis Jahresende bei Isabelle sein, wenn er seine Bestimmung erfüllen soll. Und es ist bald November.
30
Diese Premiere!
Alles wäre gut und schön, wenn nicht der Mob an diesem verhängnisvollen Freitagabend einen großen Teil der Dekoration und viele Kostüme für den »Sternensohn Bar Kochba« unbrauchbar gemacht hätte.
Der Prinzipal ist verzweifelt. Die Aufführung verschieben? Eigentlich unmöglich. Nicht nur überall im Scheunenviertel sind Plakate ausgehängt worden, sondern auch – ein von mir und Schlomo angeregter Versuch – fast im gesamten Berliner Zentrum in »normalen« Theaterkassen. Wir sind die Einzigen der »Scheunenviertelbühnen«, die so etwas machen. Nicht einmal die Größeren wie das Thalia-Theater oder das Central werben »außerhalb«. Und der Vorverkauf schnellt noch mehr in die Höhe, als ein Zeitungsartikel erscheint – im »Völkischen Beobachter«.
Nein, es ist kein Leserbrief aus der Feder Harald Laskers. (Ich atme auf.) Ein Kolumnist, ein ganz normaler Zeitungsschmierer hat sich diesmal ausgebreitet. Einer mit Bildung, denn er weiß, wer oder was »Der Sternensohn Bar Kochba« ist.
»Kaum hat sich der Volkszorn am vorigen Freitag ein Ventil geschaffen, kaum haben beherzte Deutsche im sogenannten Scheunenviertel ein bisschen aufgeräumt, kaum glaubt man, die Söhne Israels hätten gelernt, den Kopf einzuziehen, da kommen sie schon wieder aus ihren Löchern gekrochen wie die Kakerlaken. Offenbar hat die Säuberungsaktion nur bedingt Früchte getragen. Eine der zahllosen jiddischen Schmierenbühnen, die überall dem verdor benen Geschmack dieses Völkchens huldigen, wird sich nicht entblöden, gerade jetzt ein ›Historienspektakel‹ über einen Israeliten vorzustellen, der als Rebell gegen die Römer aufgetreten ist. Überdeutlich,was gemeint ist! >Bar Kochba, der Sternensohn‹, ein jüdischer >Held‹ also! Wenn das nicht passt wie die Faust aufs Auge! Ich sehe es direkt schon vor mir: Ein krummnasiger, schwertschwingender Judenbengel, der den Sternensohn gibt und in heiserem Gemauschel Kampfparolen gegen die Obrigkeit in die aufgehetzte Judenmenge im Zuschauerraum heult. Wie es aussieht, ist die kleine Abreibung am Freitag noch zu glimpfl ich abgegangen.«
Mendel Laskarow ist weiß vor Wut, als er die Zeitung auf den Küchentisch knallt. Er bringt zunächst kein Wort heraus.
Schlomo fi scht sich das Blatt und lässt es sich nicht nehmen, laut vorzulesen, begleitet von den entrüsteten Ausrufen seiner Eltern. Als er bei der Beschreibung des Bar-Kochba-Darstellers angekommen ist, bricht er in Wutgeschrei aus. »Krummnasiger schwertschwin gender ... denen werd ich’s zeigen!«
Madame Selde dreht ihre Kaffeetasse in Händen. »Mendele«, sagt sie bedrückt, »ich hob Moire, große Angst. Wiln mir nit doch verschieben die Premiere?«
»Bejn oifn nit!«, widerspricht der Hauptdarsteller ohne zu zögern, was seiner Haltung nach wohl »Auf gar keinen Fall!« heißt, und auch der Prinzipal schüttelt verbissen den Kopf. »Erstens wird so ein Artikel den Kartenverkauf ankurbeln. Die Billetts werden im Handumdrehen draußen sein. Zweitens hat Laskarows Künstler-Theater seit seiner Gründung noch nie eine Premiere verschoben...«
»... und drittens«, fällt ihm sein Sohn ins Wort, »lassen wir uns von dem Pack nicht einschüchtern. Leonie, was meinst du?«
»Ich weiß nicht«, sage ich mit gesenkten Lidern, ein bisschen erschrocken, von ihm so mir nichts, dir nichts in den Familienrat einbezogen zu werden. »Ich will keine falschen Ratschläge geben. Aber vielleicht kann das Stück dem Publikum ja wirklich ein bisschen ... ein bisschen Mut machen. Und wir sollten ... «
»Richtig. Wir sollten nun gerade!«, lässt sich Schlomo hitzig vernehmen und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. (Natürlich will er spielen!) Er deklamiert aus dem Schluss: »Solange warmes Blut mir in den Adern
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