Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
der sollte sich einer Familie öffnen.«
Mein neues Leben erinnert mich gerade erstaunlich stark an mein altes. Dabei wollte ich Anne doch mit meiner Geschichte im »Familienurlaub« überraschen und nicht wie ein dummer Junge von ihr erwischt werden.
»Anne, ich habe mich verändert. Du hast mich verändert. Ich bin ein neuer Mensch geworden. Bitte beruhige dich! Da ist noch ein zweiter Text.«
Aber Anne scheint gerade nicht einmal den ersten bis zum Ende lesen zu wollen. »Du hattest nie vor, ein Familienmensch zu werden, oder?«
Ich sehe Hilfe suchend zu Frau Sommer hinüber. Aber die läuft jetzt wie ein Tiger im Käfig hin und her. Sicher würde der Psychologe einen akuten Fall von Hospitalismus diagnostizieren. Hätte mir schon denken können, dass die Krankheit nicht nur in Zoos oder in Gefängnissen vorkommt, sondern auch in Familienhotels.
»Das Doppelbett, das Schrankklo, der Familiencontest, das Tanzen, die Therme – das hast du alles nur auf dich genommen, um dich hinterher darüber lustig zu machen? Du hast von Anfang an jede meiner Schwächen für Pointen in deinem Pamphlet gegen die Familie benutzt? Wie mies ist das denn?«, brüllt Anne.
Wieder sieht sie zu meinem Computer und zitiert einzelne Passagen.
»Du hast über Leonies ersten Klogang gewitzelt.« Ihre Stimme wird leiser. »Sogar über unseren Tanz. ›Das mangelnde Rhythmusgefühl von Müttern wie Anne steht in krassem Gegensatz zu ihrem exakt durchgeplanten Alltag. Außerdem wollen sie immer führen.‹« Anne legt sich eine Hand auf die Brust. »Ich habe das ganz anders empfunden«, sagt sie, und ich höre, wie ihr tiefe Enttäuschung die Kehle zudrückt.
Frau Sommer sieht sie überrascht an. Liegt da plötzlich ein Grinsen auf ihrem Gesicht?
Anne liest weiter. »Du hast Leonie mit Gummibärchen erzogen?«, ruft sie. »Hast ihr ›Leckerli gegeben‹? Wie einem Hund?« Na gut, das Fazit war überzogen, aber man hätte es ja noch kürzen können.
Sie klappt das MacBook so wütend zu, dass es knirscht.
»Es geht niemanden etwas an, dass ich schnarche. Und wie ich mir die Zähne putze, ist meine Privatsache. Ich lästere doch auch nicht darüber, dass du am liebsten kurze Gespräche führst, weil du ständig deinen Bauch einziehst.«
Traurig sitzen wir voreinander wie ein Ehepaar vor der Scheidungsrichterin. Nur dass die weiterhin ihre Runden durch meine geräumige Suite dreht.
»Das ist leider noch nicht alles«, sage ich leise und sehe Anne in die Augen. Sie schüttelt den Kopf, als könnte sie nicht noch mehr schlechte Nachrichten ertragen.
»Leonhardt betrügt dich. Seine Eltern wollten eine kluge, vorzeigbare Frau. Ohne dich hätte er sein Erbe nicht bekommen. Er hat dich nie geliebt. In den Bergen hat er mir gesagt, im Bett seist du kalt wie ein Fisch.«
Anne holt aus und scheuert mir eine. Blut schießt in meine Wange. Fast bin ich dankbar für den Schmerz. Anne holt noch einmal aus, hält aber inne.
»Du musst Familien wirklich hassen.«
Aus der Mitte des Raumes höre ich ein leises Kichern. Frau Sommer ist stehen geblieben. Sie sieht uns fasziniert an. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich. Das Kichern wird lauter, fast schon hysterisch – nein, erleichtert. Jetzt lacht sie aus vollem Herzen. Die Iren, der Personalmangel, der misslungene »Ötzi-Cup« – offenbar war das alles ein bisschen zu viel für sie.
»Wie kann man nur so selbstgerecht sein!« Frau Sommer baut sich jetzt direkt vor uns auf.
»Erstens: Sie beide sind keinen Deut besser als der andere. Die eine verkauft ihre Tochter für einen Job, der andere seine Seele.«
Sie nimmt ihre Brille ab und wendet sich an Anne.
»Haben Sie Herrn Hartmann schon berichtet, dass Sie vor drei Wochen angefragt haben, ob diese Suite noch frei ist? Und ob Sie zur Not die Zimmer wechseln können?«
Jetzt schaut Anne betreten. Ich spüre Wut in mir aufwallen.
»Sie beide haben sich wirklich verdient!« Frau Sommer setzt sich auf das große Bett. »Glauben Sie wirklich, ich habe nicht mitgekriegt, was hier läuft? Dass Herr Schade eine Affäre mit unserer Pressefrau hat, weiß ich seit Monaten. Wegen ihrer guten Kontakte habe ich sie doch überhaupt eingestellt. Dieses Jahr hat sich zwischen den beiden offenbar etwas Ernsteres entwickelt. Vielleicht hat Frau Baroudel Torschlusspanik bekommen, vielleicht hat Herr Schade die Nase voll vom Journalismus – jedenfalls hat sich Ihr Chef immer wieder unsere Räume angesehen, als wäre er auf einer Wohnungsbesichtigung.
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