Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
einem Mal sehr ernst. »Tut mir leid. Manchmal bin ich so sehr mit meiner Familie beschäftigt, dass ich gar nicht richtig mitkriege, was um mich herum passiert.« Er greift über den Tisch und nimmt meine Hand. »Keine Sorge. Das klappt schon noch.« Er hebt sein Glas und ich meines.
Irgendwann löscht Herr Béla die Lichter der Bar. Die vergangene halbe Stunde habe ich gar nicht mehr so richtig mitbekommen. Stanley hat tatsächlich alle Drinks bezahlt.
Ich glaube, er hat auch angefangen, mich für den Familiencontest zu coachen. Erinnere mich nur noch an Begriffe wie »Erziehung«, »Bildung«, »Sozialisation« – und was war da noch? Hoffentlich fragt er mich morgen nicht ab. Herr Béla bringt uns zu Fuß ins Hotel. Wir brauchen eine Stunde.
Als ich mich in der Lobby von meinen neuen Freunden verabschiede, bin ich so betrunken, dass ich tapse, anstatt zu gehen. Kurz überlege ich, noch bei der heißen Frau Fröhlich zu klopfen, ins Bett will ich nämlich noch nicht. Denn erstens schnarcht Anne so laut, dass man sie schon wirklich lieben muss, um neben ihr schlafen zu können, zweitens finde ich es unmoralisch, in der Gegenwart von kleinen Kindern betrunken zu sein. Aber wohin? Vielleicht liegt es an den Tabletten, am Papa Ice Tea, an meinem Familienplädoyer oder einer Kombination aus alledem – jedenfalls komme ich auf die beste Idee seit Langem: ein Zimmertausch mit Mr. Perfect.
Er wird ja wohl lieber bei seiner Familie schlafen als allein in der Reicher-Onkel-Suite. Bei mir ist es umgekehrt. Und weil er mich in den letzten Tagen ein paarmal auf Händen getragen hat, bin ich ihm etwas schuldig.
Im Fahrstuhl drücke ich die oberste Taste. Die Fahrt dauert nicht lang. Angekommen im sechsten Stock, stütze ich mich abwechselnd rechts und links an den Wänden ab und hinterlasse Handflächenabdrücke, die glatt als Höhlenmalereien durchgehen würden. Egal – morgen fällt der Verdacht sicher auf die Kinder, und denen wird eh verziehen.
Die Suite liegt am Ende des Gangs. Wie in den Filmen. Ich klopfe. Nichts. Sicherheitshalber horche ich an der Tür. Aber drinnen ist es absolut still. Ich klopfe lauter. Als sich immer noch nichts tut, hämmere ich gegen die Tür und rufe: »Zimmerservice!« Genau genommen ist das nicht mal gelogen.
Ich höre Schritte im Zimmer.
Mr. Perfect öffnet die Tür. Zumindest hat der Kerl vor mir seine Statur. Von seinem Gesicht kann ich nichts erkennen, denn es besteht offenbar aus Quark. Dazu hat er sich wirklich zwei Gurkenscheiben auf die Augen gelegt. Ich dachte, so etwas macht man nur im Film. Der Quark wird in der Mitte von einer Zornesfalte zerfurcht.
»Willst du schon wieder umkippen, oder was?«, fährt mich der Gurkenmann an. Eindeutig Mr. Perfect.
Ich senke meinen Blick, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Gleichzeitig befremdet mich der Gedanke, von einem Mann noch am Mittag als Mädchen beschimpft zu werden, der abends Gesichtsmasken aus Frauenzeitschriften anrührt.
»Nein, dafür würde ich nicht extra hier hochgurken, also, ich meine fahren.«
»Bist du betrunken?«
»So ein Quark! Ich meine Mist. Nein!«
»Was willst du?«
Ich nehme alle Kraft zusammen und sehe ihn an. »Mich bedanken. Du hast so viel für mich getan, und ich halte dich nur davon ab, mit deiner Familie zusammen zu sein. Das ist nicht richtig. Du bist ein guter Mensch. Du tust so viel für die Mütter und Väter dieser Welt. Ich wollte dir mein Zimmer anbieten, als Dank. So kannst du bei deiner Familie schlafen.«
Keine Ahnung, was unter der ganzen Schmiere vor sich geht. Mr. Perfect steht einfach nur da, die Gurkenscheiben auf mich gerichtet.
»Ist schon ein bisschen spät.« Er macht Anstalten, die Tür zu schließen.
Ich traue meinen Ohren nicht. Der Kerl soll der perfekte Ehemann und Vater sein? Er scheint ganz glücklich ohne seine Familie. Ich zucke mit den Schultern und wende mich zum Gehen.
»Na gut, dann werde ich das Anne mal so ausrichten.«
Hinter mir höre ich ein tiefes Seufzen.
Wenig später liege ich auf der besten und breitesten Matratze des Hotels. Was für ein Luxus! Es gibt sogar eine vom Bad getrennte Toilette!
Auf Mr. Perfects Schreibtisch liegen irgendwelche Grundrisse. Der Typ hört wohl nie auf zu arbeiten. Leider verschwimmen alle Zahlen und Linien vor meinen Augen.
Die Anspannung fällt von mir ab. Wer hätte gedacht, dass der Tag doch noch so endet? Ob ich mir Champagner bestellen soll? Ich wähle die Nummer des Zimmerservice und wundere
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