Dreibettzimmer: Roman (German Edition)
freien Mitarbeiter zur Hofberichterstattung geschickt, ich erkenne auch die kritischen Kollegen der bundesweiten Münchner Medienhäuser, zum Beispiel einen glatzköpfigen Meinungsmacher der »Allgemeinen Nachrichten«. Sogar ein paar Kamerateams von öffentlich-rechtlichen und Privatsendern haben ihre Stative direkt vor Adoré aufgebaut.
Allerdings sind viele der bekannten Gäste nicht anwesend: Stanley Fröhlich weg, die Eisensteins sowieso, die Architekten essen heute auswärts. Leonie und Anne kann ich nirgends entdecken, doch Mr. Perfect sitzt vorne, links neben meinem Chef. Auf dessen rechter Seite ist noch ein Platz frei. Trifft sich gut, dann kann ich ihm endlich den Speicherstick mit meinem Text geben und die Sache abhaken. Zu meiner anderen Seite setzt sich der Psychologe. Für ihn muss dieser Auflauf an Tierfellträgern ein Analyseparadies sein.
»Sie haben Ihrem Konkurrenten das Leben gerettet«, lobt er mich. »Sehr gut gemacht: Wahrscheinlich wird es in diesem Jahr zum ersten Mal einen Bubsi aus Platin geben.« Ich danke ihm aufrichtig und wende mich nach links zu Herrn Dr. Schade.
»Ich habe noch etwas für Sie!«
Schade nickt. »Ihre Kollegin hat mir heute Morgen im Spa-Bereich eine ziemliche Szene gemacht.«
»Ja, so ist sie«, entgegne ich vertrauensheischend.
Mein Chef kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Sie will die Stelle und ist bereit, dafür sogar auf die Hälfte ihres Gehalts zu verzichten. Offenbar ist es ihr wichtiger, Ihnen eins auszuwischen.«
Ich stutze. Das hätte ich Anne nicht zugetraut. »Wollen Sie jetzt also einen Text drucken, der sich für die Familie ausspricht?«, will ich wissen.
Schade schüttelt den Kopf. »Ich habe ihr gesagt, sie soll einen Verriss schreiben – aber einen qualifizierten Verriss aus der Sicht einer Mutter, der genau erklärt, warum sich solche Familienhotels nicht mit einer pädagogischen Betreuung in Einklang bringen lassen. Keine schlechte Idee, oder?« Mein Chef dreht sich zu mir. »Wissen Sie, Caspar, mir ist es, ehrlich gesagt, völlig egal, wer die Stelle bekommt. Wer den besseren Artikel schreibt, gewinnt.«
»Haben Sie ihr von meinem Geheimauftrag erzählt?«
»Nein, sie glaubt immer noch, dass Sie sich dem Thema Familie öffnen sollten. Aber mittlerweile hat sich das für Sie endgültig erledigt, nehme ich an.« Er öffnet die Hand und streckt sie aus. »Ihren Artikel, bitte.«
Ich greife in die Tasche und fühle das Plastik des Speichersticks. Da höre ich, wie Adoré die Pressekonferenz für eröffnet erklärt. Herr Schades Aufmerksamkeit richtet sich wieder nach vorn.
Pflichtschuldig lichten ein paar Fotografen die schöne Pressesprecherin ab, während Adoré sich mit leuchtenden Augen bei allen Teilnehmern und Kooperationspartnern bedankt. Danach zeichnet Frau Sommer die Sieger des »Ötzi-Paleo-Cups« aus: drei blonde, langhaarige Bergburschen, die in ihrer Dankesrede beweisen, dass sie sich auch rhetorisch an der Jungsteinzeit orientieren. Doch keiner der Kollegen gerät in die übliche Hektik. Stattdessen starren alle auf die Bühne, als würden sie darauf warten, dass Frau Sommer irgendein schmutziges oder gesellschaftlich relevantes Geheimnis gesteht.
Zu guter Letzt erwähnt die Hoteldirektorin, dass es noch einen »wahren Helden des ›Ötzi-Paleo-Cups‹« gibt. Plötzlich wirkt sie bedrückt, fast traurig. Sie schluckt, bevor sie noch einmal ans Mikrofon tritt.
»Einer unserer Stammgäste hat sich beim ›Paleo-Cup‹ den Knöchel gebrochen. Wie in solchen Notsituationen üblich, ist einer aus seinem Dreierteam bei dem Verletzten geblieben. Der andere ist aufgebrochen, um Hilfe zu holen. Aber auch er hat sich im Schneesturm verlaufen.«
Aha – das ist nun also die offizielle Sprachregelung: Verlaufen klingt besser als verraten oder im Stich gelassen. Ich sehe Frau Sommer an und schüttele den Kopf. Klar, ich könnte jetzt einen Aufstand machen und vor der versammelten Presse Mr. Perfect bloßstellen. Aber damit schade ich nur Anne. Meine Rache an dem Hotel trage ich in der Tasche.
»Also hat unser Gast den Verletzten zurück auf den Weg getragen, dafür gesorgt, dass er medizinisch versorgt wird, und ihm damit das Leben gerettet. Ein wahres Vorbild für Groß und Klein. Deshalb zeichnen wir ihn heute als Gast der Woche aus: Caspar Hartmann.«
Die ersten Gäste fangen an zu klatschen, die Steinzeitfans imitieren Hundegebell.
Mr. Perfect tritt ans Mikrofon, offenbar ist der Arsch nicht nur mein Vorgänger in
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