Dreifach
verlieren, und wenn ich ihn verliere, will ich nicht mehr weiterleben.
Sie stand auf, legte die Kleider ab, in denen sie geschlafen hatte, wusch sich und zog einen sauberen Pullover und eine Hose aus ihrem Koffer an. Sie setzte sich an den kleinen angeschraubten Tisch und aß etwas von der Wurst und dem Käse, die am Tag vorher gebracht worden waren. Dann bürstete sie sich das Haar und legte eine Spur von Make-up auf, um ihre Stimmung ein wenig zu heben.
Suza ging an die Kabinentür und merkte, daß diese nicht abgeschlossen war.
Sie ging hinaus.
Der Duft von Essen lockte sie den Gang entlang zur Kombüse. Sie ging hinein und blickte sich rasch um.
Rostow saß allein da und aß mit einer Gabel langsam Rührei. Er hob den Kopf und entdeckte sie. Plötzlich schien sein Gesicht eisig und böse, sein schmaler Mund wurde hart, seine Augen blickten kalt. Suza zögerte, zwang sich dann aber, auf seinen Tisch zuzusteuern. Dort angekommen, stützte sie sich kurz auf einen Stuhl, denn die Knie waren ihr weich geworden.
»Setzen Sie sich«, sagte Rostow.
Sie ließ sich auf den Stuhl fallen.
»Wie haben Sie geschlafen?«
Suza atmete hastig, als wäre sie sehr schnell gegangen. »Gut.« Ihre Stimme bebte.
Seine scharfen, mißtrauischen Augen schienen sich in ihr Hirn zu bohren. »Sie scheinen durcheinander zu sein.« Er sprach mit emotionsloser Stimme, ohne Sympathie oder Feindseligkeit.
»Ich ...« Die Worte blieben ihr in der Kehle stecken, und sie mußte nach Luft schnappen. »Es – es war gestern sehr verwirrend für mich.« Das stimmte zumindest. »Ich habe noch nie jemanden sterben sehen.«
»Ah.« Endlich zeigte sich eine Spur menschlichen Mitgefühls in Rostows Miene. Vielleicht erinnerte er sich daran, wie er zum erstenmal einen Menschen hatte sterben sehen. Er streckte die Hand nach einer Kaffeekanne aus und füllte eine Tasse für sie. »Sie sind sehr jung – nicht viel älter als der ältere meiner beiden Söhne.«
Suza nippte dankbar an dem heißen Kaffee und hoffte, daß er auf diese Art weitersprechen würde – es würde ihr helfen, sich zu beruhigen.
»Ihr Sohn?«
»Jurij Davidowitsch. Er ist zwanzig.«
»Was macht er?«
Rostows Miene war nicht mehr so frostig wie vorher. »Leider hört er meistens dekadente Musik. Er studiert nicht so eifrig, wie er sollte – nicht wie sein Bruder.«
Suza begann allmählich, wieder normal zu atmen, ihreHand zitterte nicht mehr, wenn sie die Tasse anhob. Sie wußte, daß dieser Mann nicht weniger gefährlich war, nur weil er eine Familie hatte. Aber er schien weniger erschreckend, wenn er so wie jetzt redete.
»Und Ihr anderer Sohn?«
Rostow nickte. »Wladimir.« Nun wirkte er überhaupt nicht mehr erschreckend. Er starrte mit liebevollem, nachsichtigem Gesichtsausdruck über Suzas Schulter hinweg. »Er ist sehr begabt. Wenn er die richtige Ausbildung erhält, wird er ein großer Mathematiker werden.«
»Das dürfte kein Problem sein. Die sowjetische Erziehung ist die beste der Welt.«
Die Bemerkung war unverfänglich genug gewesen, doch sie mußte für ihn eine besondere Bedeutung haben, denn der verträumte Ausdruck verschwand, und sein Gesicht wurde wieder hart und kalt. »Nein, es dürfte kein Problem sein.« Er begann wieder, sein Rührei zu essen.
Ich muß ihn jetzt bei Laune halten, dachte Suza. Sie suchte verzweifelt nach Worten. Was hatte sie mit ihm gemeinsam, worüber konnten sie sprechen? Dann fiel es ihr ein. »Ich wünschte, daß ich mich noch an Ihre Oxforder Zeit erinnern könnte.«
»Sie waren noch sehr klein.« Er füllte seine Kaffeetasse auf. »Niemand hat Ihre Mutter vergessen. Sie war mit Abstand die schönste Frau der Umgebung. Und Sie sind genauso schön.«
Schon besser. Suza fragte: »Was haben Sie studiert?«
»Volkswirtschaft.«
»Das war damals wohl keine sehr präzise Wissenschaft.«
»Bis heute ist sie nicht viel besser geworden.«
Suza setzte eine fast feierliche Miene auf. »Wir sprechen natürlich von der bourgeoisen Volkswirtschaft.«
»Natürlich.« Rostow blickte sie an, als wisse er nicht, ob sie es ernst meinte oder nicht. Er entschied offenbar, daß sie es ernstgemeint hatte.
Ein Offizier kam in die Kombüse und sprach ihn aufrussisch an. Rostow warf Suza einen bedauernden Blick zu. »Ich muß auf die Brücke.«
Suza wollte ihn begleiten. Sie zwang sich zur Gelassenheit. »Darf ich mitkommen?«
Er zögerte. Suza dachte: Er sollte es eigentlich gestatten. Schließlich hat er sich gern mit mir unterhalten,
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