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Dreihundert Brücken - Roman

Dreihundert Brücken - Roman

Titel: Dreihundert Brücken - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernardo Carvalho
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du mit ihr gemacht?«
    Ruslan sieht den Bruder an. Er forscht in den wasserblauen Augen dieses Petersburger Jungen nach dem Leben, das er hätte haben können, aber er sieht nichts.
    »Wer bist du?«, schreit Maxim mitten auf der Straße. Er ist außer sich.

II. Die Chimären

11.
Zweieinhalb Monate später,
Rückkehr aus den Sommerferien
    (September 2002)
    A ndrej verlässt die Kaserne so rechtzeitig, dass er um neun Uhr abends auf dem Vorplatz der Metrostation ist. Er darf nicht gesehen werden. Die Straßen sind noch nicht menschenleer, zumindest um diese Zeit ist seine einsame Gestalt hier weniger verdächtig als frühmorgens. Aus dem gleichen Grund, um nicht aufzufallen, muss er vor der letzten Metro zurückkommen. Er trägt seinen leeren Rucksack auf dem Rücken, als hätte er Urlaub und wäre auf dem Weg nach Hause. Eine nutzlose Tarnung. In der Kaserne lässt sich niemand täuschen. Seit er den Militärdienst vor fast einem Jahr angetreten hat, ist er nicht mehr zu Hause gewesen. Doch selbst wenn er Urlaub hätte, könnte er nicht nach Hause fahren, weil man ihn dort rausgeworfen hat. Seine Mutter und seine Schwester leben am anderen Ende des Landes, sieben Zeitzonen voraus. Seit er in St. Petersburg ist, hat er von den beiden nichts gehört. Selbst wenn er Urlaub hätte, würde er es nicht wagen, anzurufen und das Risiko einzugehen, mit dem Stiefvater sprechen zu müssen, falls dieser am Apparat wäre. Die Briefe, die er gelegentlich abends schreibt, sind bloße Kommunikationsübungen, um das Schreiben nicht zu verlernen, denn abschicken kann er sie nicht. Jedenfalls zerreißt er sie anschließend. Er redet mit niemandem. Nicht einmal mit den Wänden spricht er, was er, wenn er allein war, in seiner Kindheit in Wladiwostok oft machte, eine Angewohnheit, die er vorsichtshalber und vielleicht sogar aus einem unbewussten Selbsterhaltungstrieb heraus abgelegt hat, als er in die Kaserne kam. Am Tag seiner Abreise aus Wladiwostok kam seine Mutter zum Bahnhof. Sie tauchte überraschend auf, Andrej hatte nicht mehr damit gerechnet, und gab ihm einen Proviantbeutel für die Reise; sie sagte, er habe nun sein Leben vor sich, und küsste ihn auf die Stirn. Trotz aller Wut, die er in dem Augenblick bei diesen Worten empfand – und an deren Stelle im Laufe der tagelangen Zugfahrt nach St. Petersburg Heimweh trat –, möchte er nicht, dass die Mutter jemals erfährt, wie sein Leben aussieht, was für ein Leben er nun führt. Der Soldat im Wachhäuschen weiß genau, wohin er geht (womöglich hat er als Rekrut die gleiche Erniedrigung über sich ergehen lassen müssen), und lässt sich die Gelegenheit für eine Witzelei nicht entgehen. Andrej tut, als hätte er nichts gehört. Unter den Soldaten und Offizieren des Regiments verbreiten sich Gerüchte schnell. Seine Dummheit war, aufrichtig erwidert zu haben, er sei der einzige Sohn seiner Mutter und folglich der Ernährer der Familie, als der Hauptmann, ohne sich anmerken zu lassen, dass er es nicht ernst meinte, ihm androhte, für die geringste Unachtsamkeit werde er zur Strafe in den Krieg geschickt. Nichts hat schlimmere Folgen für einen Rekruten, als wenn er sich weigert, in den Krieg zu ziehen – oder die Spötteleien seiner Vorgesetzten ernst nimmt. Was anfangs vielleicht lediglich eine Provokation war, wurde zur Repressalie. Seitdem ließ man ihm keine Ruhe mehr. Hätte er den Mund gehalten und die großen Töne des Hauptmanns einfach hingenommen, dann wäre er vermutlich nicht für einen Auftrag wie diesen ausgesucht und gezwungen worden, Gelder zur Aufbesserung des Solds der Vorgesetzten und für den Unterhalt der mittellosen Kaserne zu beschaffen. An der Bushaltestelle zieht er die Kapuze seines Sweatshirts zurecht. Er hält sich ganz genau an die Anweisungen des Feldwebels Krassin. Besser, er lässt sich nicht von der Polizei aufgreifen – der kahl geschorene Kopf verrät eindeutig, dass er ein Rekrut ist und um diese Zeit in der Kaserne sein müsste, es sei denn, er desertiere gerade. Eigentlich wäre es gar nicht so schlecht, wenn er dank eines widrigen Umstands festgenommen und gezwungen würde, der Polizei die Wahrheit zu sagen. Doch in dem Fall könnte ihn am nächsten Tag bei der Rückkehr in die Kaserne nur ein Wunder retten.
    Die Regeln wurden im letzten Moment geändert (es gab in jüngster Zeit Denunziationen). Nicht dass sich der Feldwebel in einer seiner zahlreichen sadistischen Anwandlungen für die riskantere Variante entschieden hätte, nein,

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