Dreiländermord
Tatortbegehung anwesend, wurde allerdings kurz darauf zu
einem anderen Fall abgeordnet. Die Sache sei ja eindeutig, hieß es. Und zu diesem
Ergebnis kam auch der ermittelnde Kommissar, der übrigens wieder mein spezieller
Freund im Bau, Rennickens, war. Ich habe zwar interveniert, jedoch keine Antworten
wegen meiner Abberufung gefunden.«
»Also warst du auch nicht bei einer intensiven Durchsuchung des Tatortes
dabei?«
»Wie denn? Das wurde unter der Anweisung von Rennickens gemacht, mit
dem Ergebnis, es gebe nichts Relevantes.« Küpper setzte scheppernd die Kaffeetasse
ab. »Und so kommt es, dass ich einen unaufgeklärten Mord in meiner Statistik finde.
Das macht mich wütend.«
»Hättest du den oder die Täter erwischt?«
»Keine Ahnung, wahrscheinlich nicht«, räumte Küpper ein. »Man gab mir
nicht einmal die Möglichkeit, es zu probieren. Ich hätte wenigstens etwas tun können.«
»Hast du denn jemals in die Ermittlungsakten geschaut?«
»Nein. Zuerst lagen sie ewig lange auf dem Schreibtisch von Rennickens.
Anschließend gab es zu viele aktuelle Fälle, als dass ich mich darum auch noch hätte
kümmern können.«
Mit dem Versprechen, sich gegenseitig auf dem
Laufenden zu halten, verabschiedete sich der Bernhardiner. »Gute Heimfahrt, Herr
Schmitz«, wünschte er seinem Freund Böhnke. »Und bleib gesund.«
Böhnke hatte längst aufgehört, sich darüber zu wundern, wer bereits
alles im Besitz seiner Handynummer war. Deshalb wunderte er sich nicht, als sich
ein Kommissar Megrette bei ihm meldete.
»Kommissar Maigret? Das ist wohl ein dummer Scherz«, ärgerte er sich.
»Nicht Maigret, sondern Megrette«, belehrte ihn der Anrufer betulich.
»Und damit Sie nicht zu lange rätseln, wer ich bin, sage ich es Ihnen als Erstes.
Ich bin bei der belgischen Polizei tätig und derjenige, der mit dem Grenz-Echo-Journalisten
Geraedts den toten Pfarrer Paul Moulin gefunden hat.«
»Aha«, sagte Böhnke langsam. Was kam da bloß auf ihn zu?
»Da ich weiß, dass Sie an der Sache interessiert sind, habe ich mir
gedacht, es kann nicht schaden, wenn ich Sie einlade, sich mit mir einmal das Haus
des Pfarrers anzusehen.«
Böhnke traute seinen Ohren nicht. Ein ausländischer Kollege bot ihm
an, an einer Untersuchung teilzunehmen, obwohl er längst nicht mehr im Polizeidienst
war.
»Wie komme ich zu der Ehre?«
»Weil ich Sie kenne, Herr Böhnke«, antwortete Megrette vergnügt. »Ich
habe Sie und die Art, wie Sie Ihre Fälle lösen, immer bewundert, und wir haben sogar
einmal zusammengearbeitet.«
»So?« Böhnke überlegte, wo und wann er es mit einem Belgier zu tun
hatte. Dann fiel es ihm ein: »Bei der Entführung von Lennet Kann! Waren Sie etwa
bei der Verhaftung in Eupen dabei?«
»Ja, doch leider nur in der zweiten Reihe«, gab Megrette bescheiden
zur Auskunft.
»Aus der sind Sie inzwischen sicherlich herausgekommen, oder?«
»So können Sie es nennen, Herr Böhnke. Ich leite
inzwischen die Abteilung für Gewaltdelikte bei der Polizeidirektion in Eupen.« Megrette
räusperte sich. »Sie werden sich sicherlich fragen, weshalb ich Sie anrufe und woher
ich Ihre Handynummer habe.«
Böhnke musste sehr genau hinhören, um herauszufinden, dass Megrette
kein Deutscher aus dem Aachener Grenzland war. Gelegentlich hatte die Betonung einzelner
Silben einen französischen Einschlag statt eines deutschen.
»Da bin ich aber neugierig«, sagte er.
»Nun, die Rufnummer hat mir ein Journalist aus Aachen genannt, der
Sie gut kennt. Er heißt Sümmerling und ist mit dem Rundfunkchef in Eupen befreundet.
Sie verstehen?«
Selbstverständlich verstand Böhnke. Jedoch schwieg er und wartete auf
den zweiten Teil der Antwort.
»Wie gesagt, habe ich den Pastor gefunden. Und bevor ich den Fall endgültig
als Selbstmord abschließe, will ich eine Inventur bei ihm machen. Wer weiß, was
wir alles bei Paul Moulin finden?«
In der Tat. Oft genug hatte Böhnke miterlebt,
wie bei einer Durchsuchung der Wohnräume eines Verstorbenen versteckte Seiten einer
menschlichen Existenz aufgedeckt wurden, von denen nicht einmal der Ehepartner etwas
ahnte. Es hatte bisweilen dramatische Züge, wenn sich ein Verstorbener etwa als
Pädophiler entpuppte und die bis zu diesem Zeitpunkt trauernde zu einer von Ekel
angewiderten Witwe wurde. Wie oft er nach einem Todesfall herausgefunden hatte,
dass der Verstorbene ein außereheliches Verhältnis hatte, konnte er nicht mehr an
den Fingern beider Hände abzählen. Aber was sollte sich schon
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