Dreiländermord
Megrette langsam Auskunft.
»Was glauben Sie, wie viele Frauen alljährlich auf den Balearen verschwinden und
wie viele Immobilien ihre Besitzer wechseln?« Seine Antwort kam Böhnke bekannt vor
und er sparte sich eine Entgegnung.
Megrette ging auf einen Schrank zu und öffnete eine Schublade. »Ich
habe noch etwas, das Sie interessieren könnte. Glaube ich jedenfalls.« Er hielt
einen Bilderrahmen in die Höhe. »Das einzige Foto, das unser Pastor von sich aufbewahrt
hat. Ich nehme an, es zeigt ihn mit einigen Freunden. Ich bin gespannt, ob Sie ihn
erkennen.«
Die Fotografie war ebenfalls mindestens 15 Jahre alt. Auf der Terrasse
des Ferienhauses auf Ibiza prosteten sich sieben junge Männer zu, alle zwischen
20 und 30. Sie schienen gut gelaunt, lachten in die Sonne und genossen offensichtlich
ihre Zeit.
»Einer davon soll Ihr Pfarrer sein?«, forschte Böhnke nach. Er betrachtete
konzentriert die Gesichter. Sein Atem raste urplötzlich. »Ich kann ihn nicht erkennen.
Aber ich kenne mindestens zwei der Männer.« Er sah verblüfft zu Megrette. »Der eine
heißt Saggolny, der andere Wirthding. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Böhnke hatte Mühe, seine Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen,
zu bremsen und zu bündeln.
»Ihr Pastor, Wirthding und Saggolny kannten sich in ihrer Sturm-und
Drangzeit. Es gibt demnach eine Verbindung zwischen ihnen, zwischen einem von einem
Killerkommando ermordeten Homosexuellen, einem verunglückten Bauunternehmer und
einem Pastor, der Selbstmord beging und am Tod eines Journalisten maßgeblich beteiligt
gewesen sein muss.«
Erneut schaute Böhnke auf das Bild, nachdem ihn Megrette auf den Pastor
hingewiesen hatte. Ihn hätte er nicht erkannt. Woher auch? Ein weiteres Gesicht
kam ihm vertraut vor. Verflucht, wer war das bloß? Es war ein Gesicht, in das er
schon einmal geblickt hatte; ein Gesicht, das zu einem Lebenden gehörte. Küpper?
Küpper! War das etwa der Bernhardiner? Nein, das konnte nicht sein. Böhnke schüttelte
sich. Objektiv betrachtet, gab es eine gewisse Ähnlichkeit. Sie war allerdings nicht
so groß wie bei den Gesichtern, die er auf Anhieb zuordnen konnte. Subjektiv wollte
er seine Überlegung nicht glauben. Er versuchte, den Gedanken abzuhaken, wissend,
dass er ihn so schnell nicht loswerden würde. Was würde das bedeuten, wenn Küpper
zu dieser Gruppe gehört hätte? Andererseits: Der Bernhardiner war wahrscheinlich
mehr als zehn Jahre älter als die jungen Männer. Er konnte es also nicht sein. Oder?
»Darf ich?« Böhnke wollte die Fotografie aus dem Rahmen lösen.
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, antwortete Megrette. »Wir sind rein
privat hier. Es gibt bei uns keine polizeilichen Ermittlungen. Ich bin von der Pfarrgemeinde
mit der Nachlassregelung beauftragt. Fühlen Sie sich wie zu Hause und seien Sie
ungeniert.«
Mit wenigen Handgriffen hatte Böhnke das Foto aus der Halterung gelöst.
Einen Vermerk, wo und wann das Foto gemacht worden war, fand er nicht, dafür eine
Notiz, geschrieben mit einer flüssigen Schrift: ›Mes amis et moi – les brutals.‹
»Was das auf Deutsch heißt, wissen Sie sicher: Meine Freunde und ich,
die Gnadenlosen«, ließ sich Megrette ruhig vernehmen. »Was sagen Sie dazu?«
»Haben Sie noch mehr von diesen Überraschungen auf Lager?« Böhnke war
das Geschehen unheimlich. In was war er da bloß hineingeraten?
»Ich bin genauso überrascht gewesen wie Sie, als ich das Bild gesehen
habe«, bekannte Megrette. »Jedoch wissen Sie mehr als ich. Ich habe hier in Eupen
nichts oder fast nichts mitbekommen von den Ereignissen in Deutschland. Darüber
wissen Sie mehr. Allerdings wissen wir nun gleich viel.«
»Doch längst nicht alles«, fiel ihm Böhnke ins
Wort.
»Dennoch viel«, beharrte Megrette. »Wir wissen,
dass der deutsche Journalist wahrscheinlich nicht Selbstmord begangen hat, sondern
getötet wurde. Wir wissen, dass unser Pastor wahrscheinlich beteiligt war und anschließend
Selbstmord begangen hat. Ich weiß, dass er an dem besagten Samstagabend alleine
nach Hause gekommen ist. Er ist gesehen worden, als er vorm Haus seinen Wagen abstellte
und alleine zu seiner Wohnung ging. War ganz normal. Er hat im Hausflur zu einem
Mitbewohner gesagt, er müsse eine Predigt für einen Schulgottesdienst überarbeiten.
Am Wochenende selbst hatte er dienstfrei. Die Messen wurden von einem Gastpfarrer
abgehalten.« Megrette atmete durch. »Wir wissen weiterhin, dass ein unbekannter
Dritter mit unserem Pastor dabei war, als
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