Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreiländermord

Dreiländermord

Titel: Dreiländermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Lehmkuhl
Vom Netzwerk:
bekleideten Strandläufern beinahe den Rang abliefen.
    Der Anblick der vielen Unbekleideten, die sich nicht an das FKK-Verbot
hielten, hatte Böhnke zunächst erstaunt, dann verblüfft, danach in nahezu fassungsloses
Entsetzen getrieben. Bei den meisten Nackten hätte ein wenig Stoff erheblich mehr
an Attraktivität gebracht, so wie bei der Frau, die neben ihm saß, aber bestimmt
30 Jahre jünger war als er.
    Ob sie ihm ein paar Fragen stellen dürfe, hatte sie sich erkundigt.
Sie hieße Dolores, plapperte sie unbekümmert drauflos, und sei Studentin in Las
Palmas auf Gran Canaria. Sie arbeite an ihrer Diplomarbeit, die sich mit dem Tourismus
auf Fuerteventura befasse und suche deshalb Interviewpartner.
    Gerne nahm Böhnke das Gesprächsangebot an. Er sei zwar nicht der typische
Tourist, glaubte er mit einem entschuldigenden Lächeln sagen zu müssen, und fing
sich damit prompt die Frage ein, wie er denn einen typisch deutschen Touristen auf
Fuerteventura definiere. Jedenfalls sei er von ihr sofort als ein solcher erkannt
worden. Er müsse erst vor Kurzem angekommen sein, da er noch ziemlich weißhäutig
und sein Gesicht fast schon verbrannt sei.
    Das Gespräch verlief äußerst kurzweilig. Dolores brachte ihn mit Bemerkungen
zum Lachen und er versprühte Charme und Esprit. Zu seiner Erheiterung trugen zudem
die beiden Streifenhörnchen bei, die zwischen den Menschen umherliefen und heruntergefallene
Essensreste verzehrten. Zutraulich und putzig hatte Böhnke diese Tiere, die ihn
an Eichhörnchen erinnerten, genannt. Doch Dolores fand kein gutes Wort für die flinken
Tierchen. »Das sind Inselratten, die gehören gar nicht hierhin.« Sie seien eingeschleppt
worden und verbreiteten sich ungestört. Sie würden zu einer Plage werden, vermutete
sie.
    Inselratte, der Begriff brannte sich bei Böhnke ein. Fremd, platzgreifend,
überhandnehmend, sich nicht aufhalten lassend. Fast so wie der Unbekannte. D., die
Inselratte.
    Ein Glas Sangria zum Abschied müsse sein, meinte die sympathische Frau,
obwohl es langsam Zeit für den Aufbruch wurde. Außerdem müsse er sich sputen, um
rechtzeitig vor Einbruch der Dämmerung in seinem Hotel zu sein, ergänzte sie, als
sie mit der Sangria spezial, die mit eiskaltem Sekt aufgefüllt war, anstießen. Dolores
empfahl ihm den serpentinenmäßigen Weg die Steilküste hinauf nach Esquinzo, der
hinter der Strandbude anfing. Er sei kürzer und nicht so steil wie der Weg bis zur
nächsten Bude und von dort aus hinauf zu seinem Hotel.
    Mit dem gegenseitigen Versprechen, vielleicht sehe man sich ja noch
einmal wieder, verabschiedeten sie sich. Böhnke pustete kräftig durch, während er
die Stufen des schmalen Weges durch den Felsen hinaufstieg. Dolores war schwungvoll
die Treppe aufwärts gelaufen und winkend davongeeilt.
    Das ist verdammt anstrengend für einen alten Mann, der den Nachmittag
mit einer netten Frau verplaudert und dabei Sangria getrunken hat, resümierte er
ohne Reue. Er hatte sich ablenken lassen und sich wohl gefühlt.
    Er war verblüfft, wie schnell die Dunkelheit kam.
    Erst kurz vor dem Ende der Essenszeit erreichte er seine Unterkunft.
Man hatte schon befürchtet, er hätte sich übernommen, teilte ihm die Aufsicht im
Speisesaal mit. Es komme oft vor, dass ältere Urlauber sich am ersten oder zweiten
Tag ihres Aufenthalts zu viel zumuten und daraufhin beim letzten Bad mit der Flut
ins Meer gerissen würden oder mit einem Sonnenstich nach einer langen Wanderung
in einer Felsenburg lägen.
    Beschwichtigend lachte Böhnke auf. So schlimm sei es nicht gewesen,
im Gegenteil, er fand seinen ersten Urlaubstag auf Fuerteventura sogar sehr schön.
Dolores sei Dank.

20.
    Entsetzen lag über dem Frühstücksraum, als Böhnke eintrat. Ob er es
bereits gehört habe, flüsterte ihm seine Tischnachbarin aufgeregt zu, als er sich
mit seinem bescheidenen Frühstück aus Obstsalat und einem Croissant auf den ihm
zugewiesenen Platz setzte.
    »Was denn?« Er spürte die Betroffenheit seiner Umgebung, die ihm signalisierte,
dass etwas Ungewöhnliches, etwas nicht zu einem Urlaub Passendes geschehen sein
musste. Es war die Stimmung, die er immer wahrgenommen hatte, wenn er an einen Tatort
gekommen war, um den sich bereits Schaulustige und Betroffene scharten.
    »Man hat heute am frühen Morgen die Leiche einer jungen Frau am Strand
gefunden«, sagte seine Nachbarin, eine rüstige Rentnerin, mit Unbehagen. Die Frau
sei wahrscheinlich am Abend oder in der Nacht die Felswand hinuntergestoßen

Weitere Kostenlose Bücher