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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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tut:
    »Sie haben einen Spitzel. Jemanden, der ihnen verrät, wie Jorge seine Partien vorbereitet.«
    Max blinzelt verblüfft.
    »Einen Spitzel?«
    »Ja.«
    »Hier in Sorrent?«
    »Wo sonst?«
    »Das ist unmöglich. Hier seid doch nur ihr ... Oder gibt es noch jemanden, von dem ich nichts weiß?«
    Bekümmert schüttelt sie den Kopf.
    »Niemanden. Nur uns.«
    Sie betritt das Kloster, und Max folgt ihr. Auf der anderen Seite des dämmrigen Durchgangs empfängt sie das grünliche Licht des verwaisten Klosterhofs, wo steinerne Säulen und Spitzbögen einen quadratischen Rahmen um die Bäume bilden. Dieser geheime Spielzug, erklärt Mecha flüsternd. Denihr Sohn im verschlossenen Umschlag dem Schiedsrichter übergeben habe, als die Partie vertagt worden sei. Am Abend und am nächsten Morgen hätten sie sich nur mit diesem Zug in allen seinen Konsequenzen und jeder möglichen Antwort Sokolows beschäftigt. Akribisch seien Jorge, Irina und Karapetian sämtliche Varianten durchgegangen und hätten für jede einzelne Gegenzüge konzipiert. Sie seien sich einig gewesen, dass Sokolow nach eingehendem Studium der Stellung – was mindestens zwanzig Minuten hätte in Anspruch nehmen müssen – mit seinem Läufer einen Bauern schlagen würde. Dadurch hätte sich die Chance ergeben, ihn mit einem Springer und der Dame in einen Hinterhalt zu locken, aus dem der einzige Ausweg ein riskanter Läuferzug gewesen wäre, der zwar gut zu Kellers Stil und seinen phantasievollen Kamikaze-Aktionen gepasst, aber nicht der konservativen Spielweise seines Gegners entsprochen hätte. Zwar habe Sokolow, nachdem der Schiedsrichter den Umschlag geöffnet und den geheimen Spielzug ausgeführt hatte, mit seinem Läufer den Bauern geschlagen, also genau den Zug gemacht, der ihn in einen Hinterhalt locken sollte. Und Keller habe Pferd und Dame gezogen, womit die geplante Falle perfekt gewesen sei. Aber daraufhin habe sich Sokolow – nach nur acht Minuten Bedenkzeit für ein Problem, das Keller, Irina und Karapetian eine ganze Nacht gekostet habe – für die riskanteste Variante, den Läuferzug, entschieden. Für genau das also, was er ihrer Einschätzung und seinem Temperament nach niemals tun würde.
    »Kann das nicht Zufall sein?«
    »Beim Schach gibt es keine Zufälle. Nur falsche und richtige Entscheidungen.«
    »Willst du damit sagen, dass Sokolow den Plan deines Sohnes kannte und wusste, wie er zu vereiteln sein würde?«
    »Ja. Jorges Idee war brillant und bis ins Letzte durchdacht.Ein Spielzug, der in kein Schema passte. In acht Minuten darauf zu reagieren war ein Ding der Unmöglichkeit.«
    »Könnten nicht auch andere verwickelt sein, Hotelangestellte beispielsweise? Oder gibt es irgendwo versteckte Mikrophone?«
    »Nein. Das habe ich alles überprüft.«
    »Gott im Himmel ... Dann gibt es nur zwei Möglichkeiten? Karapetian oder das Mädchen.«
    Mecha schweigt und betrachtet die Bäume in dem Klostergärtchen.
    »Das ist ungeheuerlich«, bemerkt er.
    Sie wendet sich ihm zu und zieht eine verächtliche Grimasse.
    »Was ist daran ungeheuerlich? Das sind nur die üblichen Tiefschläge des Lebens.« Sie wirkt plötzlich bedrückt. »Dich sollte das doch am allerwenigsten überraschen.«
    Max beschließt, diese Klippe zu umschiffen.
    »Dann tippe ich eher auf Karapetian.«
    »Die Wahrscheinlichkeit, dass es Irina ist, ist ebenso hoch.«
    »Ist das dein Ernst?«
    Ihre Antwort ist ein abweisendes, freudloses Lächeln, das viele Interpretationen erlaubt.
    »Warum sollten sein Trainer oder seine Freundin ihn verraten?«, fragt Max.
    Mecha zieht ein verdrossenes Gesicht, als verstünde sich das von selbst. Dann zählt sie nüchtern mehrere Möglichkeiten auf: persönliche, politische, ökonomische Motive. Obwohl, fügt sie nach einer Pause hinzu, es auf die Beweggründe für diesen Verrat vorerst gar nicht ankomme. Um das herauszufinden, sei später noch Zeit genug. Das Vordringlichste sei es, ihren Sohn zu schützen. Es sei momentan Halbzeit, und morgen stehe die sechste Partie an.
    »Und das alles unmittelbar vor der Weltmeisterschaft.Stell dir die verheerenden Auswirkungen vor. Was für ein Fiasko.«
    Eben betreten die beiden Engländerinnen, die ihnen vorhin mit ihren Kameras den Weg versperrt haben, ebenfalls den Klosterhof, und Mecha und Max wenden sich ab und schlendern den Kreuzgang entlang.
    »Wir wären in Dublin ins offene Messer gelaufen«, fährt sie fort.
    »Warum vertraust du dich mir an?«
    »Wie schon gesagt« – wieder das

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