Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Hut auf und ging zwischen den Tischen hindurch, vorbei an dem Mann mit der Pfeife, der ihn nicht mehr zu beachten schien. Einen Augenblick später, auf der letzten Stufe der Treppe, die von der Caféterrasse auf den Gehweg führte, fiel es ihm wieder ein. Er hatte diesen Mann am Morgen vor dem Café Monnot sitzen sehen, wo er sich die Schuhe putzen ließ, als Max mit den italienischen Spionen sprach.
»Wir haben ein Problem«, sagt Mecha Inzunza unvermittelt.
Sie spazieren schon eine ganze Weile gemächlich um das Kloster San Francesco und durch den Garten des Hotels Imperial Tramontano. Es ist Spätnachmittag, eine matte Sonne neigt sich den Felswänden der Marina Grande zu und vergoldet den Dunst über der Bucht.
»Ein ernstes Problem«, ergänzt sie.
Sie hat ihre Zigarette zu Ende geraucht, die Glut an dem eisernen Geländer abgestreift und den Stummel in die Tiefe fallen lassen. Max, den ihr Ton und ihr Gesichtsausdruck stutzig gemacht haben, betrachtet ihr regloses Profil. Mit verkniffener Miene blickt sie aufs Meer hinaus.
»Dieser Zug von Sokolow«, sagt sie schließlich.
Max merkt verwirrt auf, ohne zu begreifen, wovon sie spricht. Gestern ging die unterbrochene Partie mit einem Remis zu Ende. Ein halber Punkt für jeden Spieler. Das ist alles, was er weiß.
»Banditen«, murmelt Mecha.
Max’ Verwirrung geht in Erstaunen über. Ihre Stimme klingt abfällig, er hört verhaltene Wut heraus. Ein Ton, der ihm neu ist. Obwohl, wenn er es recht bedenkt, ganz neu vielleicht doch nicht. Töne aus einer fernen gemeinsamen Vergangenheit hallen in ihm wider. Er hat Mecha sehr wohl schon einmal so erlebt. In einer früheren Welt, einem früheren Leben. Diese kalte, kultivierte Verachtung.
»Er wusste Bescheid.«
»Wer?«
Die Hände in die Taschen ihrer Strickjacke gebohrt, zuckt sie mit den Schultern, als läge die Antwort auf der Hand.
»Der Russe. Er wusste, welchen Zug Jorge machen würde.«
Es dauert einen Moment, bis der Gedanke sich gesetzt hat.
»Willst du damit sagen ...?«
»Dass Sokolow vorgewarnt war. Und nicht zum ersten Mal.«
Langes, fassungsloses Schweigen.
»Er ist Weltmeister.« Max versucht angestrengt, sich vorzustellen, was das bedeuten mag. »Da kann es doch vorkommen, dass er auf die Ideen des Gegners kommt.«
Wortlos wendet sie den Blick vom Meer ab und richtet ihn auf Max. Auf eine Idee kommt man nicht einfach so, sagen ihre Augen.
»Warum erzählst du mir das?«, fragt er.
»Warum ausgerechnet dir?«
»Ja.«
Sie senkt den Kopf.
»Weil ich dich vielleicht brauche.«
Max’ Verwunderung wächst, und er stützt sich mit einer Hand auf das Geländer. Es liegt eine gewisse Unsicherheit in dieser Geste, als hätte ihn ein plötzlicher Schwindel erfasst. Doktor Hugentoblers Chauffeur hat feste Pläne für sein fingiertes Leben in Sorrent, und dass Mecha Inzunza ihn brauchen könnte, ist in diesen Plänen nicht vorgesehen. Ganz im Gegenteil.
»Wozu?«
»Eins nach dem anderen.«
Er versucht, seine Gedanken zu ordnen. Sich einen Reim auf etwas zu machen, das er noch gar nicht weiß.
»Ich frage mich ...«
Mecha fällt ihm ins Wort.
»Ich habe schon seit einiger Zeit das Gefühl, dass du dazu imstande sein könntest.«
Ihre Stimme ist sanft, und sie lässt seinen Blick nicht los.
»Wovon redest du?«
»Von mir.«
Eine lapidare Protestgebärde, ein kaum angedeutetes Abwinken. Es ist Max in Bestform, der aus seinen Glanzzeiten, der jetzt den Gekränkten mimt. Und damit jeden nur denkbaren Zweifel an seiner Lauterkeit ausräumt.
»Du weißt ganz genau ...«
»Oh, nein. Das weiß ich nicht.«
Sie stößt sich vom Geländer ab und schlendert unter den Palmen weiter in Richtung des Klosters. Er bleibt noch einen Moment stehen, unbewegt, ein wenig theatralisch, dann läuft er ihr nach, holt sie ein und geht vorwurfsvoll schweigend neben ihr her.
»Ich weiß es wirklich nicht«, wiederholt Mecha nachdenklich. »Aber darum geht es auch nicht. Das ist es nicht, was mich beunruhigt.«
Max’ Neugierde gewinnt die Oberhand über seinen Impuls würdevolle Verärgerung zu demonstrieren. Mit leutseliger Geste bittet er zwei geschwätzige Engländerinnen, die einander mitten auf dem Gehsteig fotografieren, ihnen aus dem Weg zu gehen.
»Hat es mit deinem Sohn und den Russen zu tun?«
Sie antwortet nicht sofort. Sie ist an einer Ecke des Klosters vor dem schmalen Eingang stehengeblieben und scheint zu zweifeln, ob sie weitergehen oder reden sollte, was sie dann schließlich
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