Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
ungeachtet der Zeit und des Alters spürt Max für einen Augenblick den Schauder der alten Erregung, die die Nähe dieser Frau in ihm auslöst.
»Der Köder für Irina und Karapetian ist nicht der einzigeSpielzug, der uns vorschwebt ... Es gibt, falls nötig, noch einen weiteren, den ein Schachanalytiker mit etwas Humor die Inzunza-Verteidigung taufen könnte. Oder vielleicht auch die Max-Variante. Denn dann, mein Lieber, bist du am Zug.«
»Warum?«
»Du weißt, warum ... Womöglich bist du aber auch so dumm und weißt es wirklich nicht.«
7 VON DIEBEN UND SPIONEN
Die Engelsbucht war noch immer tiefblau. Die hohen Felsen des Schlossbergs von Nizza schirmten das Ufer gegen den Mistral ab, der das Wasser an diesem Teil der Küste kaum kräuselte. Auf die Steinbrüstung des Rauba-Capeù gestützt, wandte Max den Blick von den weißen Segeln einer Jolle ab, die aus dem Hafen glitt, und sah Mauro Barbaresco an, der mit offener Jacke und gelockerter Krawatte neben ihm stand, die Hände in den Taschen seiner zerknitterten Hose und den Hut in den Nacken geschoben. Der Italiener hatte dunkle Ringe unter den Augen, und sein Gesicht hätte Messer und Rasierseife eines Barbiers vertragen können.
»Es handelt sich um drei maschinengeschriebene Briefe«, erklärte er. »Sie liegen in einer Mappe im Safe des Büros, das Ferriol in der Villa seiner Schwester hat. Dort gibt es natürlich noch weitere Unterlagen. Aber uns interessieren nur diese.«
Max sah zu dem anderen hinüber. Domenico Tignanello war in keinem besseren Zustand als sein Kollege. Er lehnte wenige Schritte entfernt erschöpft an der Tür eines alten schwarzen Fiat 514 mit französischem Kennzeichen und verdreckten Kotflügeln und betrachtete niedergeschlagen das Denkmal für die Opfer des Großen Krieges. Beide schienen eine ungemütliche Nacht verbracht zu haben. Max stellte sich vor, wie sie, niemals schlafend, ihr mageres Salär als unbedeutende Spione verdienten, jemanden beschatteten – womöglich ihn selbst – oder im Auto von der nahen Grenzekamen, eine Zigarette nach der anderen rauchten und im Schein der Straßenlampen den Serpentinen des dunklen, mit weißen Farbstreifen an den Bäumen markierten Asphaltstreifens folgten.
»Sie dürfen da nichts durcheinanderbringen«, fuhr Barbaresco fort. »Es geht um diese drei Briefe und sonst nichts. Sie müssen sich vergewissern, dass es die richtigen sind, sie herausnehmen und die Mappe wieder an ihren Platz zurücklegen. Tomás Ferriol soll sie nicht sofort vermissen.«
»Ich brauche eine genaue Beschreibung.«
»Sie werden sie leicht identifizieren können, weil sie auf offiziellem Briefpapier geschrieben sind, zwischen dem 20. Juli und dem 14. August letzten Jahres, wenige Tage vor dem Militärputsch in Spanien. An ihn adressiert.« Der Italiener zögerte einen Moment, als überlegte er, ob es angebracht wäre, noch etwas hinzuzufügen. »Unterschrieben sind sie vom Grafen Ciano.«
Während er ruhig die Anweisungen entgegennahm, klemmte Max den Stock unter den Arm, holte das Etui aus der Tasche, klopfte das Ende einer Zigarette sacht auf den Deckel und steckte sie zwischen die Lippen, ohne sie anzuzünden. Jeder wusste, wer Graf Galeazzo Ciano war. Sein Name war ständig in den Schlagzeilen, und sein Gesicht häufig in den Illustrierten und den Wochenschauen der Kinos zu sehen: dunkelhaarig, attraktiv, sehr schneidig, stets in Uniform oder im Abendanzug, Schwiegersohn des Duce – er war mit einer Tochter Mussolinis verheiratet – und Außenminister des faschistischen Italiens.
»Etwas mehr müsste ich schon wissen. Worum geht es in diesen Briefen?«
»Viel brauchen Sie nicht zu wissen. Es geht darin um vertrauliche Mitteilungen im Zusammenhang mit den ersten Militäraktionen in Spanien und das Wohlwollen, mit dem meine Regierung die patriotische Rebellion der GeneräleMola und Franco betrachtet hat. Aus Gründen, die weder unsere noch Ihre Angelegenheit sind, muss diese Korrespondenz wiederbeschafft werden.«
Max hörte aufmerksam zu.
»Warum sind diese Briefe hier?«
»Tomás Ferriol hielt sich während der Ereignisse im Juli vergangenen Jahres in Nizza auf. Er wohnte damals in der Villa am Mont Boron und bewegte sich mit einem gemieteten Privatflugzeug vom Marseiller Flughafen aus zwischen Lissabon, Biarritz und Rom. Deshalb lag es nahe, ihm vertrauliche Post hierherzuschicken.«
»Es handelt sich um kompromittierende Briefe, vermute ich ... Für ihn oder für andere.«
Ungeduldig rieb
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