Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
auszuschließen ist. Oder vielleicht auch der Wunsch, Ferriol Beweismaterial zu entreißen, das dieser zu erpresserischen Zwecken missbrauchen könnte ... Tatsache ist, dass Ciano diese Briefe haben will und man Ihnen den Auftrag erteilt hat, sie zu beschaffen.«
Das alles war von so überwältigender Offensichtlichkeit, dass Max seine Zurückhaltung aufgab.
»Eines ist mir immer noch schleierhaft, und Sie sind nicht der Erste, dem ich diese Frage stelle. Warum ich? Italien sollte doch über geeignete Spione verfügen.«
»Aus meiner Sicht ist das ganz simpel.« Mostaza hatte einen Tabakbeutel aus Wachstuch hervorgeholt und beganndie Pfeife zu stopfen, indem er mit dem Daumen den Tabak in den Kopf drückte. »Wir sind in Frankreich, und die internationale Lage ist heikel. Sie sind politisch nirgendwo beheimatet. Quasi ein Staatenloser.«
»Ich habe einen venezolanischen Pass.«
»Davon kann ich mir ein halbes Dutzend kaufen, wenn Sie mir die Überheblichkeit gestatten. Zudem waren Sie in Europa und Amerika wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt, ob Ihnen nun etwas nachgewiesen werden konnte oder nicht ... Sollte es also schiefgehen, tragen Sie die Verantwortung. Die würden alles abstreiten.«
»Und welches Instrument spielen Sie in diesem Orchester?«
Mostaza, der eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche genommen hatte und seine Pfeife anrauchte, warf ihm durch die dicken Schwaden einen ungläubigen Blick zu.
»Ich dachte, das hätten Sie längst kapiert. Ich arbeite für die spanische Republik. Ich bin aufseiten der Guten ... Sofern man bei diesen Dingen von einer guten Seite überhaupt sprechen kann.«
Als höchst oberflächlicher Leser – auf Reisen in Schiffen, Zügen und Hotels – von Fortsetzungsromanen in Illustrierten hatte Max Spionage immer mit schicken, weltgewandten Abenteurerinnen und finsteren, lichtscheuen Subjekten assoziiert. Somit staunte er über die Selbstverständlichkeit, mit der Fito Mostaza sich erbot, ihn zurück zum Hotel Negresco zu begleiten und einen gemütlichen – das Adjektiv stammte von Mostaza selbst – Bummel über die Promenade zu unternehmen. Max hatte keine Einwände, und so spazierten sie eine Weile plaudernd wie zwei alte Bekannte, die sich über Alltäglichkeiten austauschen, wie all die anderen, die um diese Tageszeit zwischen den Hotelfassaden und dem Meeresuferunterwegs waren. Mostaza, dessen zerknautschter Panamahut seine Brille überschattete, schmauchte gemächlich seine Pfeife, gab Max – der trotz der anscheinend friedfertigen Situation wachsam blieb – die letzten Details und beantwortete dessen gelegentliche Zwischenfragen.
»Kurz und gut, wir zahlen Ihnen mehr als die Faschisten. Von der Dankbarkeit der Republik ganz zu schweigen.«
»Wie viel auch immer die wert sein mag«, erlaubte sich Max ironisch anzumerken.
Mostaza lachte leise durch die Zähne. Fast gutmütig. Die Narbe am Kinn verlieh diesem Lachen eine gewisse Zweideutigkeit.
»Nicht so keck, Herr Costa. Immerhin vertrete ich die legitime Regierung Spaniens. Demokratie gegen Faschismus, Sie wissen schon.«
Der ehemalige Salontänzer balancierte seinen Stock und beobachtete Mostaza aus dem Augenwinkel. Ohne die Brille hätte der spanische Agent ausgesehen wie ein Jockey in Straßenkleidung, denn im Stehen und Gehen wirkte er noch zierlicher und zerbrechlicher. Allerdings gehörte es in Max’ Beruf zur üblichen, reflexhaften Routine, Männer und Frauen anhand von unscheinbaren Eigenheiten zu durchschauen. In einer Welt voller Ungewissheit konnte man aus einer gewöhnlichen Gebärde oder einem geläufigen Wort ebenso wenig nützliche Information herauslesen wie aus der Mimik eines erfahrenen Pokerspielers, der sein Blatt prüft. Die Lesarten, die das Leben Max gelehrt hatte, waren andere. Und die drei Viertelstunden, die er mit Fito Mostaza verbracht hatte, genügten, um sich darüber klar zu werden, dass der gutmütige Ton und die Liebenswürdigkeit eines Mannes, der von sich behauptete, auf der Seite der Guten zu kämpfen, gefährlicher sein konnten als die rüden Umgangsformen der beiden italienischen Agenten. Die jetzt, wie Max nicht ohne Erstaunen konstatierte, weit und breitnicht zu sehen waren.»Warum stehlen Sie die Briefe nicht selbst?«
Mostaza ging ein paar Schritte, ehe er mit einer lässigen Handbewegung antwortete.
»Wissen Sie, was Tomás Ferriol zu sagen pflegt? Er würde Politiker niemals vor den Wahlen kaufen, ohne zu wissen, ob sie an die Macht kommen oder nicht.
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