Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
beiden Ideen deines Sohnes?», fragt er, nachdem er sich die Lippen mit der Serviette abgetupft hat. »Den Ködern, von denen du gesprochen hast?«
»Sie sind mittendrin. Jeder für sich, wie geplant.«
»Und wer kommt besser voran?«
»Irina. Und das ist Jorge ganz recht, denn die Vorstellung, dass sie es sein könnte, quält ihn sehr. In der nächsten Partie wird er also diese Neuerung einführen, um sich so schnell wie möglich Gewissheit zu verschaffen.«
»Und was ist mit Karapetian?«
»Jorge hat Emil gesagt, dass er sich mit seiner Analyse Zeit lassen und noch mehr in die Tiefe gehen soll, weil er sie sich für Dublin aufheben will.«
»Meinst du, Sokolow tappt in die Falle?«
»Wahrscheinlich. Immerhin handelt es sich um genau das, was er von Jorge erwartet: Opfer und hintergründige, gewagte, brillante Angriffe ... Die Keller’sche Spezialität.«
In diesem Moment sieht Max von weitem Emil Karapetian mit ein paar Zeitungen in der Hand auf den Salon zugehen. Er macht Mecha auf ihn aufmerksam, und ihre Augen folgen dem Großmeister mit ausdruckslosem Blick.
»Es wäre traurig, wenn sich herausstellen sollte, dass er es ist«, bemerkt sie.
Max kann seine Überraschung nicht verbergen.
»Wäre dir Irina etwa lieber?«
»Emil ist bei Jorge, seit der ein Junge war. Mein Sohn schuldet ihm viel. Wir schulden ihm viel.«
»Aber dieses junge Pärchen ..., na ja, die Liebe.«
Mecha blickt auf den Boden.
»Ach so, das«, sagt sie.
Übergangslos erklärt sie ihm dann den nächsten Schritt, für den Fall, dass Sokolow anbeißt. Der Verräter, sollte sich einer von beiden als solcher erweisen, dürfe nichts merken. Im Hinblick auf den Weltmeisterschaftskampf müssten die Sowjets sich in Sicherheit wiegen, ohne dass Sokolow der Verdacht komme, bereits seit Sorrent aufgeflogen zu sein. Nach Dublin werde der Spitzel, wer immer es sein möge, natürlich nie wieder mit Jorge arbeiten. Es gebe Methoden, ihn mit oder ohne Skandal loszuwerden, je nachdem, was sich anbiete. Außerdem sei das nicht das erste Mal: Schon beim Kandidatenturnier in Curaçao, wo Jorge gegen Petrosjan, Tal und Kortschnoi angetreten sei, habe sich ein französischer Sekundant verplappert. Damals sei es Karapetian gewesen, der dem Spion auf die Schliche gekommen sei. Am Ende hätten sie sich geeinigt und ihn entlassen, ohne dass jemand den Grund erfahren habe.
»Er könnte auch als Sündenbock hergehalten haben«, überlegt Max. »Ein Manöver von Karapetian, um den Verdacht auf einen anderen zu lenken.«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, erwidert sie düster. »Und Jorge zieht das ebenfalls in Erwägung.«
Aber trotz allem, fährt sie nach einer Weile fort, habe ihrSohn dem Meister viel zu verdanken. Jorge sei dreizehn Jahre alt gewesen, als sie Karapetian überredet habe, mit ihm zu arbeiten. Fünfzehn gemeinsame Jahre. Überall, in Zügen, auf Flughäfen und in Hotels hätten sie ihr Reiseschachspiel aufgebaut, Partien vorbereitet, Eröffnungen, Positionen, Varianten, Angriffe und Endspiele studiert.
»Über die Hälfte seines Lebens habe ich Jorge vor Turnieren morgens mit ihm frühstücken sehen, während sie sich angeregt über Züge und Stellungen austauschten, ihre nachts beschlossenen Strategien vergegenwärtigten oder frei improvisierten.«
»Du würdest es vorziehen, wenn sie die Schuldige wäre«, sagt Max sanft.
Mecha scheint nicht zuzuhören.
»Er war ein normaler Junge ..., oder fast. Man nimmt ja gemeinhin an, dass Schachspieler eine höhere Intelligenz besäßen als gewöhnliche Sterbliche, aber das stimmt gar nicht. Jorge bewies lediglich sehr früh eine ausgeprägte Fähigkeit, sich mehreren Dingen gleichzeitig zu widmen, und eine Begabung, was Zahlenfolgen angeht.«
»Wo haben Irina und er sich kennengelernt?«
»Auf einem Turnier in Montreal vor anderthalb Jahren. Sie war damals mit Henry Trench zusammen, einem kanadischen Schachspieler.«
»Und was ist passiert?«
»Nach einer Party haben Irina und Jorge die ganze Nacht auf einer Parkbank gesessen und über Schach geredet, bis es hell wurde. Und dann hat sie sich von Trench getrennt.«
»Jedenfalls hat man den Eindruck, dass sie ihm guttut, nicht wahr? In Momenten wie diesen ermöglicht sie ihm so etwas wie Normalität.«
»Sie trägt dazu bei«, gibt Mecha zu. »Aber zur Besessenheit neigt Jorge sowieso nicht. Er gehört nicht zu den Spielern, die sich von der Ungewissheit und der Anspannungeiner langen Partie zermürben lassen. Dabei hilft ihm sein
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