Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Sinn für Humor und eine gewisse Nonchalance. Einer seiner Lieblingssprüche ist: ›Ich werde mich doch davon nicht irre machen lassen.‹ Diese Einstellung wirkt den pathologischen Aspekten seines Tuns durchaus entgegen. Sie gibt ihm Normalität, wie du sagst.«
Mit leicht geneigtem Kopf hält sie einen Augenblick inne.
»Ich denke schon«, schließt sie dann, »dass auch Irina dazu beiträgt.«
»Wenn sich herausstellt, dass seine Freundin diejenige ist, die den Russen Informationen zukommen lässt, könnte das seine Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen, fürchte ich. Seine Leistung schmälern.«
Dieser Teil des Problems bereitet Mecha am wenigsten Sorge. Ihr Sohn, erklärt sie, sei imstande, sich mit der gleichen Intensität und anscheinend simultan mit unterschiedlichen Fragen zu befassen; aber niemals verliere er das Wesentliche aus den Augen: das Schachspielen. Seine Fähigkeit, sich jeweils auf das zu konzentrieren, was in diesem Moment Priorität habe, sei erstaunlich. Er könne innerlich weit weg sein, dann blinzele er plötzlich, lächele und sei wieder da. Diese Begabung auf- und abzutauchen sei sehr charakteristisch für ihn. Ohne diese kurzen Einbrüche der Normalität würde sein Leben ganz anders aussehen. Er würde sich in ein exzentrisches oder unglückliches Wesen verwandeln.
»Deshalb kann er sich«, fügt sie nach einer Pause hinzu, »ebenso wie er sich übermenschlich zu konzentrieren vermag, auch in Gedanken versenken, die mit der Partie, vor der er gerade sitzt, nichts zu tun haben: in Phasen des Wartens im Geist andere Partien spielen, mit kühlem Kopf die Sache mit dem Spitzel durchdenken, sich an eine Reise oder einen Film erinnern, über die Lösung eines völlig anderen Problems nachgrübeln ... Als er noch klein war, saß er einmal zwanzig Minuten lang stumm und reglos vor dem Brett undanalysierte einen Spielzug. Und als sein Gegenüber Anzeichen von Ungeduld erkennen ließ, blickte er auf und sagte: ›Ach, bin ich denn dran?‹«
»Du hast mir immer noch nicht verraten, was du glaubst. Ob du meinst, dass sie die undichte Stelle ist.«
»Ich habe doch gesagt: Es könnte jeder der beiden sein.«
Max zieht die Augenbrauen hoch, als hätte sie etwas Offensichtliches außer Acht gelassen.
»Sie scheint aber verliebt zu sein.«
»Du lieber Himmel, Max.« Spöttisch, fast erstaunt sieht sie ihn an. »Und das aus deinem Mund? Seit wann ist Liebe ein Hinderungsgrund für Verrat?«
»Nenne mir ein konkretes Motiv. Warum sollte sie ihn an die Russen verkaufen?«
»Auch diese Frage ist unter deinem Niveau. Warum sollte Emil ihn verkaufen?«
Sie schaut auf und starrt ausdruckslos an ihm vorbei. Max’ Augen folgen ihrem Blick. Drei Stockwerke weiter oben stehen Jorge Keller und das Mädchen im Bogengang der benachbarten Terrasse, sie beugen sich über das Geländer und genießen offensichtlich die Aussicht. Sie tragen weiße Bademäntel, scheinen gerade aufgestanden zu sein. Sie umschlingt seinen Arm und schmiegt sich an seine Schulter. Dann entdecken sie Max und Mecha und winken ihnen zu. Max winkt zurück, während Mecha die beiden betrachtet, ohne sich zu rühren.
»Wie lange warst du mit seinem Vater verheiratet, diesem Diplomaten?«
»Nicht lange«, antwortet sie nach einer Weile. »Obwohl ich mich gewiss bemüht habe. Die Tatsache, dass ich ein Kind hatte, veranlasste mich wahrscheinlich, es mir immer wieder zu überlegen ... Letzten Endes wird jede Frau irgendwann in ihrem Leben einmal zum Opfer ihrer Gebärmutter oder ihres Herzens. Aber diesbezüglich war nichts mit ihm anzufangen ... Er war einfach ein lieber Kerl, unerträglich nicht wegen des Übermaßes seiner guten Eigenschaften, sondern wegen seiner Entschlossenheit, diese auch alle auszuleben. Und sich damit zu brüsten.«
Sie unterbricht sich, und ein eigentümliches Lächeln huscht über ihre Lippen. Sie legt die rechte Hand auf die Tischdecke neben einen kleinen Kaffeefleck. Die Flecken auf ihrem Handrücken sehen ähnlich aus. Die dunklen Tropfen des Alters auf welker Haut. Die Erinnerung an diese Haut, vor dreißig Jahren noch warm und straff, überfällt Max mit einem Mal so schmerzlich, dass er es kaum aushalten kann, und um seine Unruhe zu überspielen, beugt er sich vor und prüft den Inhalt der Kaffeekanne.
»So warst du nie, Max. Du konntest ... Ach, zum Teufel. Ich habe mich oft gefragt, woher du deine Gelassenheit nahmst. Diese Besonnenheit.«
Er erbietet sich, ihr Kaffee nachzuschenken, und sie
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