Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
die Mutter?«
»Wessen Mutter?«
»Kellers Mutter. In sämtlichen Zeitungen ist von ihr die Rede.«
Der Capitano überlegt einen Moment.
»Ach so, ja. Keine Ahnung. Sie kümmert sich anscheinend um alles. Sie hat wohl das Talent ihres Sohnes entdeckt und ihm die besten Lehrmeister gesucht. Bis man sich einen Namen gemacht hat, ist Schachspielen eine kostspielige Sache. All die Reisen, Hotels, Teilnahmegebühren ... Man muss Geld haben oder es sich beschaffen. Sie hat offenbar genug. Sie kümmert sich um das ganze Drumherum, den Beraterstab, die Gesundheit ihres Sohnes, seine Finanzen. Manche sagen, er sei ihr Werk, aber das ist übertrieben. Bei aller Unterstützung ist und bleibt ein Schachgenie wie Keller sein eigenes Werk.«
Die nächste Begegnung fand am sechsten Tag der Überfahrt vor dem Abendessen statt. Max Costa tanzte bereits seit einer halben Stunde mit Frauen verschiedenen Alters, einschließlich der Amerikanerin mit den fünf Dollar und Miss Honeybee, als der Oberkellner Schmöcker Frau de Troeye zuihrem Tisch geleitete. Sie war allein, wie am ersten Abend. Als Max in ihre Nähe kam, er tanzte gerade La canción del ukelele mit einem der brasilianischen Mädchen, sah er den Kellner einen Champagner-Cocktail servieren, während sie sich eine Zigarette in einem kurzen Elfenbeinmundstück anzündete. Anstelle des Perlencolliers trug sie eines aus Bernstein. Ihr Kleid aus schwarzem Satin ließ wieder den Rücken unbedeckt, sie hatte das brillantineglänzende Haar jungenhaft nach hinten frisiert und die Augen mit einer sauberen schwarzen Linie mandelförmig geschminkt. Der Eintänzer sah immer wieder zu ihr hin, ohne dass es ihm gelang, einen ihrer Blicke zu erhaschen. Also wechselte er im Vorbeitanzen ein paar Worte mit den Musikern, und als diese bereitwillig einen Tango anstimmten – Adiós, muchachos –, der gerade in Mode war, verabschiedete er sich von der Brasilianerin und trat bei den ersten Takten an den Tisch der Frau, verneigte sich leicht und wartete mit seinem liebenswürdigsten Lächeln, während die Tanzfläche sich bereits mit Paaren füllte. Mecha Inzunza de Troeye blickte ihn einige Sekunden lang an, und er fürchtete schon, abgewiesen zu werden. Doch dann legte sie die Zigarettenspitze in den Aschenbecher. Sie erhob sich aufreizend langsam, und die Geste, mit der sie die linke Hand auf seine rechte Schulter senkte, erschien ihm unendlich träge. Doch die Melodie, die ihre schönste Stelle schon fast erreicht hatte, umfing sie beide, und Max wusste im selben Augenblick, dass die Musik auf seiner Seite war.
Sie tanzte erstaunlich gut, wie er aufs Neue feststellte. Beim Tango ging es nicht um Spontaneität, sondern darum, eine Absicht anzudeuten und sie stumm, in fast grimmigem Schweigen, unverzüglich auszuführen. Und so waren ihre Bewegungen ein ständiger Wechsel von Begegnung und Trennung, berechnendem Ausweichen und gegenseitigem Einvernehmen, während sie zwischen den anderen Paaren, die sich meist recht unbeholfen über das Parkett schoben, ganzselbstverständlich dahinglitten. Max wusste aus Erfahrung, dass Tangotanzen ohne eine geübte Partnerin unmöglich war, denn die Frau musste sich einem Tanz anpassen können, bei dem der Mann die Bewegung abrupt unterbrach und sie festhielt, während sie wie in einem spielerischen Kampf versuchen musste, seinen Armen zu entfliehen, um dann ihrerseits innezuhalten und sich stolz und verführerisch zu ergeben. Und diese Frau war eine solche Partnerin.
Sie tanzten zwei Tangos hintereinander – Champagne Tango hieß der andere –, ohne dass sie ein einziges Wort wechselten, gingen vollkommen auf in der Musik, dem Vergnügen an der Bewegung, der gelegentlichen Berührung von Satin und Flanell; und Max genoss die Nähe ihres jungen, warmen Körpers, die Linien ihres Gesichts, die sich fortsetzten über das straff zurückgekämmte Haar, den Nacken und den bloßen Rücken. Und als sie in der Pause zwischen zwei Tänzen einander gegenüberstanden, ein wenig außer Atem von der Anstrengung, in Erwartung des nächsten Titels, ohne dass sie den Wunsch äußerte, an ihren Tisch zurückzukehren, und er ein paar winzige Schweißperlen auf ihrer Oberlippe entdeckte, zog er eines seiner beiden Taschentücher heraus, nicht das aus seiner Brusttasche, sondern eines, das er, frisch gebügelt und blütenweiß, in der Innentasche seines Fracks trug, und hielt es ihr unbefangen hin. Sie nahm das gefaltete Batisttüchlein, tupfte sich über den Mund und
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