Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
reichte es ihm zurück, mit einer Spur von Feuchtigkeit und einem zarten Lippenstiftfleck. Sie machte nicht einmal Anstalten, zu ihrem Tisch zu gehen, wo ihre Handtasche lag, um sich die Nase zu pudern, wie Max erwartet hatte. So trocknete auch er sich den Schweiß auf Oberlippe und Stirn, bevor er das Tuch wieder einsteckte, wobei der Frau nicht entging, dass er es als Erstes zum Mund führte, und als ein neuer Tango einsetzte, tanzten sie in demselben Einklang weiter. Doch hielt die Frau den Blick nun nicht mehr in die Weiten des Salons gerichtet: Wenn sie nach einer schwierigen Drehung oder einer besonders gelungenen Figur zum Stillstand kamen, sahen sie einander jetzt fest in die Augen, ehe sie die Erstarrung lösten und mit dem nächsten Takt eine neue Schrittfolge begannen. Und als er einmal mit ernster, undurchdringlicher Miene mitten in der Bewegung ruckartig innehielt, drängte sie sich unvermittelt mit dem ganzen Körper an ihn und wand sich mit graziler, weiblicher Anmut von einer Seite zur anderen, als kämpfte sie gegen seine Umarmung an, ohne sich wirklich daraus befreien zu wollen. Zum ersten Mal, seit er das Tanzen zu seinem Beruf gemacht hatte, fühlte sich Max versucht, seine Partnerin zu küssen, diesen langen, jungen, anmutigen Hals mit den Lippen zu berühren. In diesem Moment bemerkte er aus dem Augenwinkel ihren Ehemann, der inzwischen mit übereinandergeschlagenen Beinen rauchend am Tisch saß und sie trotz seiner scheinbaren Teilnahmslosigkeit nicht aus den Augen ließ. Und als er wieder zu ihr hinsah, trafen ihn zwei goldene Blitze, die sich zu vervielfältigen schienen im Schweigen ewiger, altersloser Weiblichkeit. Alldem, wovon der Mann nichts weiß.
Das Fumoir des Überseedampfers war sowohl über die Erste-Klasse-Decks backbord und steuerbord als auch vom Bugdeck aus zu erreichen, und Max Costa besuchte es in der Tanzpause während des Abendessens, weil er wusste, dass es um diese Zeit so gut wie leer war. Der Kellner servierte ihm einen doppelten Espresso in einer Tasse mit dem Emblem der Hamburg-Südamerikanischen. Nachdem er die Frackschleife und den gestärkten Kragen ein wenig gelockert hatte, rauchte er eine Zigarette und sah aus dem Fenster, wo zwischen den Spiegelungen des erleuchteten Raums die Nacht zu erahnen war und der Mond die Plattform am Bug in helles Licht tauchte. Allmählich leerte sich der Speisesaal,und immer mehr Passagiere kamen herein und besetzten die Tische, darum stand Max auf und ging. An der Tür trat er zur Seite, um eine Gruppe von rauchenden Männern vorbeizulassen, unter denen er Armando de Troeye erkannte. Der Komponist war nicht in Begleitung seiner Frau, und auf dem Weg vom Steuerborddeck zum Ballsaal versuchte er sie unter den Damen und Herren auszumachen, die, in Mäntel und Umhänge gehüllt, an Deck frische Luft schöpften und aufs Meer hinaus blickten. Die Nacht war mild, doch begann der Atlantik zum ersten Mal, seit sie in Lissabon abgelegt hatten, sich zu kräuseln. Und obgleich die Cap Polonio mit moderner Stabilisierungstechnik ausgerüstet war, löste das Schwanken allgemeine Besorgnis aus. Der Tanzsaal war für den Rest des Abends nur spärlich besucht, viele Tische blieben leer, auch der des Ehepaars de Troeye. Die Ersten wurden bereits seekrank, und die musikalische Unterhaltung war früh zu Ende. Max hatte wenig zu tun, gerade mal ein paar Walzer, und konnte sich zeitig zurückziehen.
Sie begegneten sich am Aufzug vor den großen Spiegeln der Haupttreppe, als er auf dem Weg zu seiner Kabine in der zweiten Klasse war. Sie hatte ein Cape aus grauem Fuchspelz umgelegt, hielt ein Lamétäschchen in der Hand und war allein. Während sie auf eines der Flanierdecks zuschritt, bewunderte Max ihren festen Gang trotz der hohen Hacken und des Schaukelns, denn selbst auf einem so großen Schiff wie diesem konnte der Boden bei aufgewühlter See auf unangenehme Weise schwanken. Er machte kehrt, öffnete die Tür, die ins Freie führte, und hielt sie offen, bis die Frau draußen war. Mit einem knappen »Danke« ging sie an ihm vorbei, und Max neigte den Kopf, schloss die Tür und ging weiter, acht, zehn Schritte, den letzten langsam, gedankenversunken, dann blieb er stehen. Zum Teufel, sagte er sich, warum sollte ich es nicht auf einen Versuch ankommen lassen. Mit der gebotenen Vorsicht.
Er sah sie sofort, wie sie im matten Licht der salzüberkrusteten Glühbirnen an der Reling entlangspazierte, und vertrat ihr den Weg. Wahrscheinlich hatte sie das
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