Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Parkanlagen.Michail Sokolow ist oben untergebracht, in einer geräumigen Suite mit Balkon, von dem aus man über die großen hundertjährigen Pinien einen Panoramablick auf den Golf von Neapel hat. Dort residiert der Weltmeister, und dort bereitet er mit seinem Beraterstab die Partien vor.
Mit einem alten Dienstglas aus Wehrmachtsbeständen, das ihm der Capitano Tedesco geliehen hat, sitzt Max in einer efeuüberrankten Laube und inspiziert das Gebäude, wobei er so tut, als beobachte er Vögel. Was er sieht, ist entmutigend; auf normalem Wege hineinzukommen scheint ausgeschlossen. Er hat schon den ganzen gestrigen Nachmittag damit verbracht, sich davon zu überzeugen, und es am Abend mit Mecha Inzunza besprochen, als sie nach dem Essen im Hotelgarten an dieser Stelle saßen. Das Gefolge des Russen belege die gesamte untere Etage, erklärte er ihr und wies auf die erleuchteten Fenster. Es gebe nur eine einzige Treppe und einen Aufzug, erreichbar durch einen gemeinsamen Eingangsbereich. So weit habe er das Ganze ausgekundschaftet. Und ständig stehe einer Wache. Niemand könne unbemerkt bis zu Sokolows Zimmertür vordringen.
»Es muss eine Möglichkeit geben«, entgegnete Mecha. »Heute Nachmittag findet die nächste Partie statt.«
»Das ist zu kurzfristig, fürchte ich. Ich habe ja bislang keine Ahnung, wie ich es anstellen soll.«
»Übermorgen spielen sie wieder, und ehe sie fertig sind, wird es dunkel sein. Dann hättest du Zeit. Und Schlösser waren doch nie ein Hindernis für dich. Hast du ..., ich weiß nicht, Werkzeug? Einen Dietrich?«
In Max’ Schulterzucken lag die Selbstsicherheit des erfahrenen Profis.
»Die Schlösser sind nicht das Problem. Die Haupttür unten hat ein modernes Yale-Schloss, das leicht zu öffnen ist. Das der Suite ist noch einfacher, alt und konventionell.«
Er schwieg und betrachtete das Gebäude mit besorgtemBlick. Mit dem Blick eines Alpinisten, der die schwierigste Route einer Gipfelbesteigung in Augenschein nimmt.
»Das Problem ist, dorthin zu kommen«, sagte er. »Hinauf zu gelangen, ohne dass es einer der verdammten Bolschewisten mitbekommt.«
»Bolschewisten?«, lachte sie. »Das sagt kein Mensch mehr.«
Ein Lichtschein, als Mecha sich eine Zigarette anzündete. Die Dritte, seit sie im Garten waren.
»Du musst es versuchen, Max. Du hast so etwas doch schon öfter geschafft.«
Schweigen. Tabakrauch in der Luft.
»Denk an Nizza«, erinnerte sie ihn. »Das Haus von Suzi Ferriol.«
Komisch, dachte er. Oder paradox. Dass sie ausgerechnet das als Argument anführt.
»Es gab nicht nur Nizza«, erwiderte er ruhig. »Aber da war ich halb so alt.«
Er ließ sich die unwahrscheinlichsten Wahrscheinlichkeiten noch einmal durch den Kopf gehen. Durch den stillen Garten schwebte leise Musik aus einer der Bars auf der Piazza Tasso.
»Wenn sie mich erwischen ...«
Mittendrin brach er ab. Eigentlich war ihm gar nicht bewusst, dass er diese Worte laut ausgesprochen hatte.
»... sitzt du in der Patsche«, gab sie zu. »Kein Zweifel.«
»Das ist es gar nicht mal, was mir Angst macht.« Sein Lächeln war jetzt nervös. »Aber ich habe darüber nachgedacht. Ich fürchte mich vor dem Gefängnis.«
»Seltsam, dich so etwas sagen zu hören.«
Sie schien tatsächlich erstaunt. Er machte eine fahrige Handbewegung.
»Ich habe mich auch früher schon gefürchtet. Aber jetzt bin ich vierundsechzig.«
Noch immer war Musik zu hören. Schnelle, moderne Rhythmen. Zu weit weg, um die Melodie zu erkennen.
»Das ist nicht wie im Kino«, fuhr er fort. »Ich bin nicht Cary Grant in diesem absurden Streifen mit dem Hoteldieb ... Das echte Leben kennt kein Happyend.«
»Schwätzer. Außerdem hast du sehr viel besser ausgesehen als Cary Grant.«
Sie hatte nach seiner Hand gegriffen und sie mit ihren langen, knochigen Fingern sanft gedrückt. Warm. Max lauschte weiter auf die Musik. Ein Tango ist es jedenfalls nicht, stellte er mit einer Grimasse fest.
»Aber weißt du, dass du der Frau ähnlich warst, seiner Partnerin im Film? Oder sie dir ... Immer hat sie mich an dich erinnert, so schmal und elegant. Doch, du siehst ihr heute noch ähnlich. Oder sie dir.«
»Er ist dein Sohn, Max. Zumindest dessen kannst du gewiss sein.«
»Vielleicht ist er das«, antwortete er. »Aber sieh mal.«
Er nahm ihre Hand und zog sie an sein Gesicht, damit sie seine Falten betastete. Der Zeit nachspürte.
»Möglicherweise gibt es ja noch einen anderen Weg.« Die Berührung fühlte sich an wie eine
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