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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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Max, die unangenehmen Gedanken zu verscheuchen und sich auf seine gewissenhafte Rasur zu konzentrieren, während er Soy una fiera trällerte, einen Tango, den sie vergangene Nacht in La Ferroviaria gespielt hatten. Dann lächelte er das eingeschäumte Gesicht im Spiegel an. Die Erinnerung an Mecha Inzunza erwies sich als nützlich bei der Teufelsaustreibung. Ihre hochmütige Art, Tango zu tanzen, zumBeispiel. Ihre Worte, ihr Schweigen, ihr Honigglanz. Aber auch die Pläne halfen, die bezüglich Mecha Inzunzas, ihres Gatten und der Zukunft nach und nach, ohne Eile, in Max heranreiften. Immer konkretere Pläne, die er im Geist durchspielte, während er vorsichtig die Stahlklinge über die Haut zog.
    Zu seiner Erleichterung war die Nacht ohne Zwischenfälle verlaufen. Sie hatten noch eine Weile Tangos im alten Stil gehört und den Leuten beim Tanzen zugesehen. Weder Mecha noch Max gingen ein zweites Mal auf die Tanzfläche. Dann hatten die Musiker ihre Instrumente weggelegt, abgelöst durch das altersschwache Pianola, aus dem lärmende, zur Unkenntlichkeit entstellte Tangos ertönten, und Armando de Troeye rief die drei an den Tisch. Er wollte sie zu einem erlesenen Tropfen einladen. Etwas sehr Gutes und sehr Teures, sagte er, wobei er großzügig das goldene Zigarettenetui herumgehen ließ. Doch nachdem sich die Kellnerin mit dem Wirt beraten hatte, einem Spanier mit hochgezwirbeltem Schnurrbart und heimtückischer Miene, erklärte sie de Troeye zögerlich, eine Flasche Champagner müsse von weit her geholt werden, mit der Straßenbahn der Linie 17, und dafür sei es um diese Zeit zu spät; und so musste er sich mit ein paar doppelten Grappas, einem namenlosen Weinbrand, einer noch versiegelten Flasche Gin der Marke Llave und einem blauen Glassiphon begnügen. Im Qualm der Zigarren und Zigaretten fand alles regen Zuspruch, einschließlich der dazu servierten Fleischtaschen. Max wäre der Unterhaltung zwischen dem Komponisten und den drei Musikern – der Bandoneonspieler, der ein Glasauge hatte, war Veteran aus den Zeiten des berühmten Café de Hansen und der Rubia Mireya um 1900 – und deren Ansichten über den alten und den neuen Tango, Spielweisen, Texte und Melodien unter anderen Umständen interessiert gefolgt, doch der Salontänzer hatte andere Sorgen. Nachdem der Einäugige Vertrauengefasst und ein paar Gläser Gin getrunken hatte, gestand er, nicht einmal Noten lesen zu können. Er spiele nach Gehör, schon sein ganzes Leben lang. Außerdem spielten er und seine Kollegen den wahren Tango, den man so tanze, wie man ihn immer getanzt habe, in schnellem Rhythmus und mit den cortes an der richtigen Stelle; nicht dieses artige Zeug, das durch Paris und das Kino jetzt Mode geworden sei. Was die Texte angehe, so sei diese Manie, einen greinenden Hornochsen, den seine Frau wegen eines anderen verlassen habe, zum Helden zu machen, oder das Arbeitermädchen aus Flor de fango in ein welkes Sumpfblümchen zu verwandeln, tödlich für den Tango und eine Beleidigung für die, die ihn tanzten. Echter Tango sei Sache der Alteingesessenen aus der Unterstadt, fuhr der Einäugige unter entschiedener Zustimmung seiner Kameraden fort: boshafter Sarkasmus, dreiste Ganoven, laszive Weiber, der bissige Zynismus derer, die nichts zu verlieren haben. Poeten und feingeistige Musiker seien da nicht gefragt. Der Tango sei dazu da, mit einer Frau auf Tuchfühlung zu gehen oder mit den Jungs einen draufzumachen. Das könne er ganz klar sagen, immerhin spiele er ja die Musik dazu. Tango sei, kurz gesagt, Instinkt, Rhythmus, Improvisation und verruchte Texte. Alles andere, und die Dame möge es ihm nicht übel nehmen – hier schielte sein einziges Auge in Mecha Inzunzas Richtung –, sei Schwanzlutscherei. Wenn das so weitergehe mit all diesen enttäuschten Illusionen, diesen verwaisten Liebesnestern und dieser ganzen Gefühlsduselei, werde man am Ende noch die verwitwete Mama oder das blinde Blumenmädchen an der Straßenecke besingen.
    De Troeye war hellauf begeistert und gab sich leutselig und gesprächig. Er stieß mit den Musikern an und kritzelte noch mehr Notizen auf seine Hemdmanschette. Der Glanz in seinen Augen, die Probleme beim Aussprechen mancher Wörter und der Eifer, mit dem er alles mitzubekommen versuchte, offenbarten die Wirkung des Alkohols. Nach einer halben Stunde war es, als wären die drei Musiker von La Ferroviaria und der mit Ravel, Strawinsky und Djaghilew befreundete Komponist schon ihr Leben lang die besten

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