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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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Cap Polonio abgebracht.«
    »Tut mir leid. Das war nicht meine Absicht ...«
    »Es braucht Ihnen nicht leid zu tun. Im Gegenteil: Armando ist Ihnen sehr dankbar. Was als kindische Wette mit Ravel begann, hat sich für ihn zu einem aufregenden Abenteuer ausgewachsen. Sie sollten mal hören, wie er inzwischen über Tango spricht. Die alte Garde und all das. Das Einzige, was ihm noch gefehlt hat, war, hierherzukommen und dieses Milieu zu erleben. Er ist ein beharrlicher Mensch, besessenvon seiner Arbeit.« Sie lachte leise. »Ich fürchte, jetzt wird er vollends unerträglich, und ich werde den Tango und alles, was damit zu tun hat, bald verwünschen.«
    Sie ging ein paar Schritte und blieb dann stehen, als wäre ihr die Finsternis mit einem Mal doch nicht geheuer.
    »Ist diese Gegend wirklich so gefährlich?«
    Max beschwichtigte sie. Nicht gefährlicher als andere auch, sagte er. Barracas sei bewohnt von einfachem, fleißigem Volk. Spelunken wie La Ferroviaria lebten von der Nachbarschaft des Riachuelo, des Hafens und des Stadtteils La Boca. Doch wenn man die Straße ein Stück weiter hinaufgehe, sei alles ganz normal: Mietshäuser, Einwandererfamilien, Arbeiter oder Leute, die gern Arbeit hätten. Frauen in Holzpantinen oder Gummilatschen, Mate trinkende Männer, ganze Familien in Kittelschürze und Unterhemd, die Hocker und Rohrstühle vor die Tür stellten, um nach einer dürftigen Mahlzeit die abendliche Kühle zu genießen, während sie sich Luft zufächelten und die Kinder beaufsichtigten, die auf der Straße spielten.
    »Gleich da vorne, an der nächsten Straßenecke«, erzählte er, »ist die Gaststätte El Puentecito, wo wir manchmal sonntags mit unserem Vater zum Essen gingen, wenn seine Geschäfte gut liefen.«
    »Was machte ihr Vater?«
    »Alles Mögliche und nichts mit Erfolg. Er arbeitete in Fabriken, handelte mit Alteisen, lieferte Mehl und Fleisch aus ... Er war ein Pechvogel. Einer von denen, die zum Scheitern geboren sind und es nie schaffen, das Blatt zu wenden. Irgendwann hatte er es satt, kehrte nach Spanien zurück und nahm uns mit.«
    »Vermissen Sie Ihr altes Viertel?«
    Der Eintänzer senkte die Lider. Er erinnerte sich noch gut, wie er im schlammigen Wasser am Ufer des Riachuelo, zwischen den halb versunkenen Wracks von Booten und Kähnen, Pirat gespielt hatte. Und wie er den Sohn des Eigentümers des Fischkutters Colombo beneidet hatte, weil er das einzige Kind war, das ein Fahrrad besaß.
    »Ich vermisse meine Kindheit«, sagte er schlicht. »Das Viertel ist dabei nicht so wichtig, denke ich.«
    »Aber dieses hier war Ihres.«
    »Ja ...«
    Mecha Inzunza setzte sich wieder in Bewegung, und sie bummelten über das Kopfsteinpflaster und entlang den Straßenbahnschienen, die im schwachen Licht immer wieder matt schimmerten, auf die Brücke zu.
    »Na gut«, sagte sie wohlwollend und vielleicht ein wenig herablassend. »Sie kommen aus armen, aber anständigen Verhältnissen.«
    »Arme Verhältnisse sind nie anständig.«
    »Sagen Sie das nicht.«
    Er lachte verbissen. Fast für sich allein. So nah am Wasser wurde der Chor der Grillen und Frösche ohrenbetäubend laut. Die Luft war feuchter, und er sah, dass es die Frau fröstelte. Ihren Seidenschal hatte sie im Lokal über der Stuhllehne hängen lassen.
    »Was haben Sie anschließend gemacht? Als Sie in Spanien waren.«
    »Von allem ein bisschen. Erst bin ich ein paar Jahre zur Schule gegangen. Und als ich zu Hause auszog, vermittelte mir ein Freund eine Stelle als Page im Ritz in Barcelona. Fünfzig Peseten im Monat. Plus Trinkgeld.«
    Mecha Inzunza verschränkte die Arme gegen die Kühle. Wortlos zog Max sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern, was sie ebenso wortlos geschehen ließ. Dabei glitt sein Blick über ihren langen, bloßen Hals, die vom diffusen Licht des anderen Ufers hell nachgezeichnete Nackenkontur unter dem kurzen Haarschnitt. Für einen Augenblick sah er dasselbe Licht in ihren Pupillen, die sekundenlang sehrnah waren. Sie duftete zart, stellte er fest, trotz des Tabakrauchs, des Schweißgeruchs und der abgestandenen Luft in der Kneipe. Nach sauberer Haut und noch nicht völlig verflogenem Parfüm.
    »Mit Pagen und Hotels kenne ich mich aus«, fuhr er fort, als er sich wieder in der Gewalt hatte. »Vor Ihnen steht ein Fachmann, wenn es darum geht, Post zum Briefkasten zu tragen, Nachtschichten zu schieben, ohne sich von den vielen Sofas ringsum in Versuchung führen zu lassen, Nachrichten zu überbringen und durch

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