Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Deckung. Um Zeit zu gewinnen, beugt er sich über den Tisch und schenkt ihr Wasser nach, und beim Zurücklehnen hat er alles wieder unter Kontrolle. Dennoch beobachtet sie ihn weiter mit diesem bohrenden Blick.
»Ich begreife nicht, wie du so reden kannst. Diese Verbitterung ... So schlecht ist es dir doch gar nicht ergangen.«
Max macht eine fahrige Geste. Im Grunde, denkt er sich, ist das so ähnlich wie Schach spielen. Vielleicht hat er sein Leben lang nichts anderes getan.
»Überdruss ist vielleicht das richtige Wort«, entgegnet er mit Bedacht. »Ein Mann muss wissen, wann er etwas aufgeben muss, das Rauchen, das Trinken oder das Leben.«
»Noch so ein schöner Spruch. Von wem ist der?«
»Das habe ich vergessen«, antwortet er schmunzelnd und fühlt sich wieder Herr der Lage. »Er könnte sogar von mir sein, stell dir vor. Ich bin alt genug, um das zu wissen.«
»Auch wann er eine Frau aufgeben muss? Es gab eine Zeit, da warst du darin Spezialist.«
Er legt eine wohlberechnete Mischung aus Zuneigung und Vorwurf in seinen Blick, doch Mecha schüttelt nur den Kopf, ohne auf seine drollige Miene einzugehen.
»Ich weiß nicht, worüber du dich beschwerst«, beharrt sie. »Oder warum du vorgibst, dich zu beschweren. Du hast ein riskantes Leben geführt. Es hätte auch ganz anders enden können.«
»Im Elend, meinst du?«
»Oder im Gefängnis.«
»War ich mehrfach«, gesteht er. »Nicht oft und nicht lange, aber gesessen habe ich.«
»Erstaunlich, dass du dein Leben so in den Griff bekommen hast. Wie ist dir das gelungen?«
Wieder beschreibt Max’ Hand eine Art Kurve, die alle nur denkbaren Möglichkeiten einschließt. Wie oft hat schonein einziges Wort zu viel die beste Tarnung auffliegen lassen.
»Nach Kriegsende habe ich ein paar Glückstreffer gelandet. Freundschaften und Geschäfte.«
»Und möglicherweise die eine oder andere begüterte Frau?«
»Ich glaube nicht ... Ich erinnere mich nicht mehr.«
Der Mann, der Max früher einmal war, hätte sich jetzt mit gewohnter Nonchalance eine Zigarette angezündet und damit für die nötige Unterbrechung gesorgt. Aber er raucht nicht mehr; und außerdem fühlt er sich nach dem Negroni, als hätte man ihm einen Bauchschuss verpasst. Also bemüht er sich lediglich, möglichst unbeteiligt dreinzublicken, während er sich nach einem Teelöffel Natronsalz in einem Glas lauwarmem Wasser sehnt.
»Denkst du nicht mit Wehmut an jene Zeit zurück, Max?«
Sie schaut ihrem Sohn und Irina zu, die immer noch im Schein der Lampions tanzen. Einen Rock ’n’ Roll jetzt. Max sieht sie über die Tanzfläche wirbeln, und dann schweift sein Blick über das Laub, das gelb durch die Dämmerung schimmert oder vertrocknet auf dem Boden unter den Tischen liegt.
»Ich denke mit Wehmut an meine Jugend«, gibt er zu. »Oder besser gesagt an das, was damals möglich war ... Andererseits habe ich aber auch entdeckt, wie beruhigend der Herbst sein kann. In meinem Alter fühlt man sich gefeit vor den jähen Veränderungen, die der Frühling mit sich bringt.«
»Sei doch nicht so absurd taktvoll. Sag ruhig: in unserem Alter.«
»Niemals.«
»Du bist ein Spinner.«
Ein friedvolles Schweigen in erneuerter Komplizenschaft. Mecha nimmt ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Jackentasche und legt es auf den Tisch, steckt sich aber keine an.
»Ich weiß, was du meinst«, sagt sie schließlich. »Mir geht es genauso. Eines Tages wurde mir klar, dass die Menschen auf der Straße nicht mehr so angenehm, die Hotels nicht mehr so prächtig und die Reisen nicht mehr so unterhaltsam waren. Die Städte waren hässlicher und die Männer flegelhafter und weniger interessant ... Und am Ende fegte der Krieg in Europa den Rest auch noch davon.«
Wieder schweigt sie einen Moment.
»Zum Glück hatte ich Jorge«, fügt sie dann noch hinzu.
Max nickt fahrig, während ihm ihre Worte durch den Kopf gehen. Er spricht es nicht aus, aber sie irrt sich. Zumindest, was ihn betrifft. Sein Problem ist nicht die Nostalgie, wenn er sich an die Welt von gestern erinnert, sein Problem ist viel prosaischer. Die meiste Zeit seines Lebens hat er versucht, in dieser Welt zu überleben und sich einer Umgebung anzupassen, die ihn, wenn sie zusammenbräche, mit ins Verderben reißen würde. Und als dies dann tatsächlich geschah, war es zu spät für einen Neuanfang: Das Leben war kein weitläufiges Jagdrevier mehr, das aus Kasinos, teuren Hotels, Überseeschiffen und luxuriösen Schnellzügen bestand, wo die Art, das
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