Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
der Universität Pokale gewinnen, doch mit gepflegtem europäischem Firnis. Jorge Keller hat die Krawatte abgenommen und die Hemdsärmel hochgekrempelt, mit der Jacke über der Schulter entspricht er nicht gerade dem Bild, das man sich von einem angehenden Schachweltmeister macht. Und die unterbrochene Partie scheint ihn tatsächlich nicht zu belasten. Bei Tisch war er witzig und locker, er scherzte mit seinem Lehrer und Berater Karapetian. Der hat sich nach dem Dessert zurückgezogen, um die verschiedenen Anschlussvarianten des geheimen Spielzuges noch einmal durchzugehen,an dem er, Irina Jasenovic und Keller morgen nach dem Frühstück weiterarbeiten wollen. Den Spaziergang hatte Karapetian selbst vorgeschlagen, ehe er sich verabschiedete. Es wird dir guttun, sagte er zu Keller, und dich auf andere Gedanken bringen. Zerstreu dich ein bisschen, und nimm Irina mit.
»Wie lange arbeiten Sie schon zusammen?«, wollte Max wissen, als Karapetian gegangen war.
»Zu lange«, stöhnte Keller in dem spaßigen Ton eines Schülers, der über seinen Lehrer herzieht, sobald der den Raum verlässt. »Das heißt, mehr als die Hälfte meines Lebens.«
»Er hört eher auf ihn als auf mich«, beklagte sich Mecha.
Keller lachte.
»Du bist ja auch bloß meine Mutter. Emil ist mein Kerkermeister.«
Max sieht Irina Jasenovic an und fragt sich, inwieweit sie der Schlüssel zu dem Kerker sein könnte. Hübsch ist sie eigentlich nicht. Attraktiv vielleicht, jung, in einem kurzen Rock im Swinging-London-Stil und mit großen schwarzen, leicht schräg stehenden Augen. Sie wirkt schweigsam und zart. Ein gescheites Mädchen. Sie und Keller vermitteln nicht so sehr den Eindruck eines Liebespaares, sondern sind eher wie befreundete Jugendliche, die sich mit Zeichen und Blicken hinter dem Rücken der Erwachsenen verständigen. Als wäre das Schachspiel, das sie verbindet, eine freche Verschwörung. Ein intelligent ausgeklügelter Streich.
»Lasst uns etwas trinken«, schlägt Mecha vor. »Dort drüben.«
Plaudernd sind sie über die Via San Antonino und die Via San Francesco zu den Gartenanlagen des Hotels Imperial Tramontano gelangt, wo zwischen den von Lampions beleuchteten Bougainvilleas, Palmen und Magnolienbäumen ein kleiner Konzertpavillon steht. Eine Gruppe spielt dortvor einem etwa dreißigköpfigen Publikum – Polohemden, um die Schultern geschlungene Pullover, Miniröcke und Jeans –, das um die Tanzfläche herum an Tischen sitzt, dicht am Rand der Steilküste, vor dem nächtlichen Hintergrund des düsteren Golfs und der fernen Lichter Neapels.
»Meine Mutter hat mir nie von Ihnen erzählt, wenn ich mich recht erinnere. Wo haben Sie sie denn kennengelernt?«
»Auf einer Schiffsreise Ende der zwanziger Jahre. Auf der Überfahrt nach Buenos Aires.«
»Max war Eintänzer an Bord«, erläutert Mecha.
»Eintänzer?«
»Ein professioneller Salontänzer, der mit den Damen und den jungen Mädchen tanzte, und zwar ziemlich gut ... Max hatte viel mit dem berühmten Tango meines ersten Mannes zu tun.«
Keller reagiert darauf gleichgültig. Entweder er hat für Tangos nichts übrig, denkt Max, oder er will vom früheren Leben seiner Mutter nichts wissen.
»Ach so«, bemerkt er kühl. »Der Tango.«
»Und was machen Sie heute?«, fragt Irina.
Der Chauffeur von Doktor Hugentobler setzt eine passende, ebenso überzeugende wie nichtssagende Miene auf.
»Ich bin Geschäftsmann«, antwortet er. »Ich betreibe eine Klinik im Norden.«
»Nicht schlecht«, sagt Keller. »Vom Tangotänzer zum Eigentümer einer Klinik und einer Villa in Amalfi.«
»Wobei es mit dem Wohlstand zwischendurch auch mal nicht so weit her war«, gibt Max zu. »In vierzig Jahren geschieht so einiges.«
»Kannten Sie meinen Vater, Ernesto Keller?«
Mit unsicherer Miene gräbt Max in seinem Gedächtnis.
»Möglich ... Ich bin mir nicht sicher.«
Seine Augen begegnen Mechas Blick.
»Du hast ihn an der Riviera kennengelernt«, erklärt siemit heiterer Gelassenheit. »Während des Spanischen Bürgerkrieges im Haus von Suzi Ferriol.«
»Ah ja, richtig ... Natürlich.«
Die vier bestellen Getränke, Limonade, Mineralwasser und einen Negroni für Max. Als der Kellner mit dem vollbeladenen Tablett zurückkommt, legt der Schlagzeuger mit einem Wirbel aus Trommeln und Becken los, zwei elektrische Gitarren fallen ein, und der Sänger – ein älterer Herr mit Toupet und einem bunt gemusterten Jackett, der Gianni Morandi imitiert – stimmt Fatti mandare dalla mamma
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