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Dreizehn Stunden

Titel: Dreizehn Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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ausführte. Ja, Paula Phillips,
     die schwarzhaarige Sängerin mit den |113| langen Beinen und den großen Brüsten, die bis heute mit ihrer dünnen Stimme einem anspruchslosen Publikum kommerziellen Mist
     auftischte.
    Das war der Tag, an dem Alexa Barnard ernsthaft zu trinken begann.
     
    Oliver Sands war sich sicher, dass Rachel Andersons verändertes Verhalten allen Mitreisenden gegenüber mit irgendetwas zusammenhing,
     was er getan oder gesagt hatte. Er wusste nur nicht, was es gewesen war. Er hatte versucht, sich an jede Begegnung mit ihr
     zu erinnern, an jedes Wort, aber konnte die Ursache ihrer Ablehnung nicht finden. Hatte er etwas zu einer anderen Person gesagt
     oder vielleicht etwas getan, was sie so sehr enttäuscht hatte? Nächtelang lag er wach und starrte auf den Fahrten zu den Victoria-Fällen,
     dem Chobe-Wildpark, dem Okavango-Delta, der Etosha-Pfanne und endlich hinunter ans Kap aus dem Fenster. Er hoffte auf einen
     Geistesblitz, auf eine Idee, die ihm helfen würde, alles wiedergutzumachen.
    Bis zum vorigen Abend im Van Hunks, als er es nicht mehr länger ausgehalten hatte.
    Eigentlich hätte er sagen sollen: »Ich merke, dass dich etwas bedrückt, Rachel. Möchtest du darüber reden?« Doch für diese
     Art von Mut hatte er ein Bier zu viel intus. Also setzte er sich neben sie und sagte wie ein absoluter, vollkommener Idiot:
     »Ich weiß nicht, warum du mich auf einmal hasst, aber ich liebe dich, Rachel«, und da saß er dann mit seinen sehnsüchtigen
     Hundeaugen und starrte sie an, in der absurden Hoffnung, sie würde erwidern: »Ich liebe dich auch, Ollie, schon seit diesem
     zauberhaften Tag in Sansibar.«
    Aber das sagte sie nicht.
    Im ersten Augenblick dachte er, sie habe ihn wegen der lauten Musik nicht gehört, denn sie starrte weiterhin reglos vor sich
     hin. Dann stand sie auf, drehte sich zu ihm um und küsste ihn auf die Stirn.
    »Lieber Ollie«, sagte sie, ging weg und verschwand in der Menge der Tanzenden.
    »Deswegen bin ich hierher zurückgekehrt«, erklärte Sands.
    |114| »Ich verstehe nicht.«
    »Weil ich wusste, dass die Jugendherberge verlassen war. Weil ich weinen wollte, ohne dass mich jemand sah«, sagte Oliver
     Sands. Er nahm die Brille nicht ab. Die Tränen liefen unter dem Gestell hindurch seine runden, roten Wangen hinunter.

|115| 12
    Rachel Anderson lag auf dem Bauch hinter dem Stapel Tannenholzscheite, kraftlos und leer.
    Irgendetwas drückte ihr schmerzhaft in den Bauch, aber sie regte sich nicht. Sie konnte das Selbstmitleid nicht länger bezähmen,
     es überrumpelte sie, lähmte sie. Sie konnte nicht weinen; es war, als seien ihre Tränenkanäle ausgetrocknet. Ihr Atem ging
     schnell und flach, ihr Mund stand offen, ihre Augen starrten die Struktur des zersägten Holzes an, sahen aber nichts.
    Ihr Kopf war ein Vakuum, ausgehöhlt von der absoluten Ausweglosigkeit. Alle Fluchtrouten waren versperrt, es gab keinen Notausgang.
     Sie konnte nichts tun, außer hier im Schatten liegen zu bleiben, ein nach Luft schnappender, gelähmter Fisch auf dem Trockenen.
    Rachel hörte die Stimmen nicht mehr. Sie hatten sich entfernt, bergauf. Möglicherweise würden sie ihre Spuren finden und ihnen
     folgen bis hierher, eine Weile lang die unfertige Garage anstarren und begreifen, dass sie Schutz bot. Dann würden sie hinter
     die Tannenholzstapel vordringen, sie mit eisernem Griff an den Haaren packen und ihr die Kehle durchschneiden. Rachel glaubte,
     sie würde nicht mal bluten, so leer fühlte sie sich. Sie fühlte nichts mehr. Nicht mal mehr Angst vor der mächtigen Klinge.
     Nicht mal diese Vorstellung ließ das Adrenalin durch ihre Eingeweide strömen.
    Zu Hause zu sein.
    Dieses stille Verlangen überraschte sie – ein Schatten, der sich aus dem Nebel löste, ein sicherer Hafen, die Stimme ihres
     Vaters, weit weg und verwaschen. »Mach dir keine Sorgen, mein Schatz, mach dir keine Sorgen.«
    Sie sehnte sich danach, von ihm umarmt zu werden, sich auf seinem Schoß zusammenzukauern, ihren Kopf unter sein Kinn |116| zu drücken und ihre Augen zu schließen. Der sicherste Ort auf der Welt.
    Ihr Atem beruhigte sich allmählich, und das Bild in ihrem Kopf wurde deutlicher. Sie erkannte einen Ausweg, instinktiv und
     ohne nachzudenken. Sie würde aufstehen, hier rausgehen und ihren Vater anrufen.
    Er würde sie retten.
     
    Wenn sich nachts ein Mord oder ein bewaffneter Raubüberfall in ihrem Zuständigkeitsbereich ereignete, riefen die Polizisten
     vom Caledonplein

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