Drift
geht’s ab in ihr Zimmer hier irgendwo. Einverstanden?«
Martin grinste, fasste die Hinterbacke »seines« Mädchens, drückte sie an sich und ihre Hand auf seine Erektion und prostete Fred zu.
»Auf meinen neuen, besten Freund!«
|267| MARINA
Man öffnet die Augen und begreift nicht. Begreift nichts. Nicht, dass man die Augen geöffnet hält, nicht, dass es eine weiße Decke ist, an die man starrt. Man weiß schon bald: Es muss eine weiße Decke sein. Eine weiße Decke in einem weiß gestrichenen Raum, einem Raum in einem Gebäude. Einem irdischen Gebäude. Man ist nicht tot. Oder doch? Nein. Man atmet. Man atmet schwer, aber man atmet. Schmerz. Eine Welle von Schmerzen. Brutal. Jemand schreit. Man sieht nach beiden Seiten, da liegen bandagierte Männer. Aber sie bewegen sich nicht. Sie schlafen oder sie sind tot. Wer hat geschrien? Ein Mann in weißem Kittel nähert sich. Sieht einem in die Augen. Leuchtet einem mit einer Taschenlampe in die Augen. Man zwinkert. Will sich aufsetzen, aber es geht nicht, nichts passiert. »Bewegen Sie sich nicht«, sagt der Mann in einer Sprache, die man versteht, und drückt einem die Schultern sanft auf die Matratze. Die Schmerzen werden stärker. Man will ihm das sagen, dem Mann, der ein Arzt sein muss, in seinem weißen Kittel. Man spürt Feuchtigkeit auf den Wangen. Tränen. Weint man etwa?
Der Mann nimmt eine Spritze aus seinem Kittel. Er nimmt den Deckel ab und spritzt den Inhalt in eine Gummikanüle. Es wird warm, dann mit einem Schlag dunkel.
Vier Tage sind vergangen, seit man zum ersten Mal die Augen geöffnet hat. Man wurde vom Arzt darüber informiert, dass vier Kugeln und elf Stück Schrapnell, Geler, entfernt worden sind. Eine Kugel nahe der Leber, eine in der Lunge, zwei in den Beinen. Zwei Durchschüsse in der rechten Schulter. Das Schrapnell über den ganzen Körper verteilt. Man sei drei Tage lang bewusstlos gewesen. Aber man werde wieder in Ordnung kommen, man habe riesiges Glück gehabt. Und dann will er wissen, woran man sich erinnern kann. »An den Marsch durch den Wald«, sagt man. »Sonst an gar nichts?«
|268| Der Arzt ist über die Antwort nicht sehr erfreut. Man denkt nach, versucht zu rekapitulieren. Dann die Bilder. Eine Flut von Bildern und Geräuschen, Lärm, Schreie, Marinas schmerzverzerrtes Gesicht, Antun, der mit offenen Augen am Boden liegt, der Kopf droht zu platzen und man schüttelt ihn, um die Bilder wegzubekommen, und der Arzt fummelt an der Kanüle. »Schlafen Sie ein bisschen«, sagt er und man fühlt, wie das Schlafmittel einen weghaut, ins traumlose Dunkel.
Man fragt irgendwann eine Schwester nach Marina und sie antwortet, sie kenne keine Marina. Aber ein gewisser Marko sei da gewesen in den ersten Tagen und er werde wiederkommen, habe er versprochen. »Wann?«, will man wissen, doch sie antwortet, sie wisse das nicht genau.
Man wartet. Dämmert dahin. Froh um jeden Augenblick, in dem die Bilder fernbleiben. Sie verfolgen einen. Lassen einem keine Ruhe. Sind schlimmer als die Schmerzen in der Brust. Man will mehr Schmerzmittel, als man bekommt. Versucht, selber an das Rädchen zu kommen, das der Arzt jeweils öffnet und wieder schließt, aber man hat keine Kraft dazu oder den Trick nicht raus.
Eines Tages öffnet man die Augen und Marko sitzt neben dem Bett.
»Marko?«, fragt man, weil man nicht sicher ist, ob man wach ist oder träumt. Er legt einem die Hand auf den Unterarm.
Wie es einem geht, will er wissen und man öffnet den Mund, bringt aber keinen Ton heraus. Tränen laufen einem über die Wangen und Marko senkt den Kopf und wischt sich selbst Tränen aus dem Gesicht. »Marina«, krächzt man. »Sie lebt«, sagt er. – »Was ist passiert?« – »Ich erzähle es dir später, mein Freund. Schlaf jetzt.« Er fährt einem mit der Hand übers Haar und es ist, als würde er einem eine Decke Schlaf überziehen. Es wird dunkel. Und was er einem ein paar Tage später erzählt, ist furchtbar, und er zittert am ganzen Körper, während er wiedergibt, was man selbst vergessen hat: Drei |269| Überlebende, drei Tote. Josko. Antun. Darko. Tot. Marko weint. Er wäre lieber an ihrer statt gestorben. Er würde alles drum geben, sagt er, und man glaubt ihm. Nicht einen Kratzer habe er abbekommen, sagt er und scheint sich dafür zu schämen. Man habe Marina das Leben gerettet, sagt er einem. Aber man kann sich nicht daran erinnern. Er kann einem nicht alles erzählen. Die Gruppe wurde getrennt nach dem Abschuss. Ob man ihn
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