Drimaxid 01 - Die Zelle

aus dem Schlitz und verschloss ihn. Die Pillen prasselten wie Hagelkörner auf den Boden herab und rollten in den Urin, wo sie sich wie Brausepulver zischend auflösten. Adam lehnte sich erschöpft zurück und legte den Kopf in den Nacken.
    Er hasste Medikamente.
     
    *
     
    Klack-Klack-Klack. Pillen, die aus Eves Hand rollten und zu Boden fielen. Klack-Klack-Klack. Pillen, die wie Murmeln aussehen, die ein Kind in den Staub geworfen hat, um damit zu spielen. Um sie zu schnippen und sie gegeneinander zu stoßen.
    Klack-Klack-Klack.
    Pillen, die Regentropfen gleich auf die Erde stürzen.
    Klack-Klack-Klack.
    Pillen, die Schneeflocken ähneln. Faszinierende Gebilde. Weiß. Vollkommen geformt. Schwebend, wie Federn.
    Klack-Klack-Klack.
    Klack-Klack-Klack.
    Klack-Klack-Klack.
    Pillen. Pillen. Pillen.
    Adam stand unter dem Pillenregen und zog sein Hemd mit den Händen nach vorne, wie das brave Sterntalerchen, um die Pillen aufzufangen. Er hasste Medikamente. Er verabscheute Pillen. Trotzdem fing er sie auf und er tat es mit weit offen stehendem Mund.
    Er konnte kaum noch gehen. Die Ebene unter seinen Füßen war übersät von Pillen. Auch auf seinem improvisierten Fangtuch häuften sich die weißen Kapseln inzwischen. Und es regnete unentwegt weiter.
    Klack-Klack-Klack.
    Pillen, die heilen.
    Pillen, die Leben schenken.
    Aber auch Pillen, die schaden.
    Pillen, die Leben nehmen.
    Klack-Klack-Klack.
    Adam bückte sich und ließ sein Hemd los. Die Tabletten kullerten von dem Stoff herunter und fielen wie deformierte Minigolfbälle zu Boden. Er las eine vereinzelte Pille auf und hielt sie zwischen seinen Fingern. Ganz vorsichtig, weil er Angst hatte sie zu zerdrücken.
    Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen gekniffen studierte er die Pille. Fasziniert tastete sein Blick die glatte Oberfläche ab, die ihn irgendwie an die Wände der Zelle erinnerte. Ohne jede Unebenheit. Perfekt.
    Er legte sie sorgfältig in den Haufen zurück und nahm die nächste Kapsel hoch. Sie fühlte sich anders an. Lebendig. Adam tippte sie mit der Fingerspitze seines Zeigefingers an. Da verlor sie an Substanz, zerfloss und rann an seinem Daumen hinab zu dem Hautlappen zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand.
    Auf dem Weg dorthin verfärbte sie sich. Aus dem unschuldigen Weiß der Jungfrau wurde das dunkle, verruchte Weinrot der Sünde. Die Pille hatte sich in einen Bluttropfen verwandelt. Adam spürte Nässe auf seinem Kopf. Er hob seinen Blick und blickte direkt in einen roten Wirbel hinein. Es regnete nicht mehr länger weiße Pillen, sondern rote Bluttropfen.
    Und auch die Pillen unter seinen Füßen hatten sich verändert. Adam stand bis zu den Knöcheln in einem blutroten Gebräu. Er watete einige Schritte durch das stehende Gewässer. Das Blut schien sich an seinen Knöcheln festzuklammern. Er musste sich jedes Mal mühsam aus der Umklammerung des Blutes befreien. Als würde es mit körperlosen Händen nach seinen Füßen greifen.
    »Was geschieht hier?«, fragte er.
    Seine Stimme echote durch den Raum. Er befand sich in der Zelle, aber sie war viel größer als sonst und voller Blut. Die Zelle würde ihn niemals entkommen lassen. Ihre Aufgabe bestand darin, ihn zu quälen. Ihn um den Verstand zu bringen.
    Da bist verrückt. Da bist verrückt.
    Sollte er das glauben? Aber wer hatte einen Nutzen davon, sollte er dem Wahnsinn verfallen? Wer konnte von seinem Abgleiten in den Irrsinn profitieren?
    Adam schmeckte Blut auf seinen Lippen. Sein Gesicht war blutverschmiert und seine Haare ein scharlachroter Büschel auf seiner bleichen Kopfhaut. Er roch Blut. Er atmete Blut. Feine Blutpartikel, die in der Luft versteckt waren. Er inhalierte Blut. Das Blut der Menschen, die er getötet hatte. Das Blut seiner Opfer. Er hatte sie gesehen. All die Ärzte und Patienten, teilweise bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt und entstellt. Er hatte das getan.
    Nun ja, Eve sagte das zumindest. Aber konnte er ihr vertrauen? Sie wollte ihn mit Pillen voll stopfen.
    Pillen, die einschläfern.
    Pillen, die schwerfällig machen.
    Pillen, die einen dazu bringen noch mehr Pillen zu schlucken.
    Klack-Klack-Klack.
    Hatte es schon begonnen? War er bereits zu einem willenlosen Pillenfresser geworden? So wie Eve, die zur Furie wurde, wenn sie keine Schmerzmittel bekam? Adam fragte sich, ob es das schreckliche Stechen in ihrem Unterleib oder der Wunsch nach noch mehr Schmerzmitteln war, der Eve so verrückt gemacht hatte. Wahrscheinlich eine Kombination aus beidem.