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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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standen. Es
roch dumpf nach Moos und vermodertem Laub. Ein paar Vögel hockten verloren in
den Baumkronen und sangen verzweifelt gegen den nahenden Winter an.
    Die Terrassenmöbel waren aus
Schmiedeeisen, und der Markisenstoff der Sitzpolster war ausgeblichen. Peter
Weidmann hielt gerade ein Nickerchen, ein dickes Buch aufgeschlagen auf dem
Schoß. Ich hatte es kürzlich in einer Buchhandlung gesehen: Teil eins der öden
Autobiografie irgendeiner prominenten Persönlichkeit, »aufgezeichnet« von einem
Schriftsteller, den sie angeheuert hatten, um dem Ganzen einen Hauch von
Intelligenz zu verleihen. Wie es schien, hatte Weidmann es bis etwa Seite fünf
geschafft. Rings um seinen Stuhl lagen Zigarettenkippen. Wahrscheinlich durfte
er im Haus nicht rauchen.
    Er wirkte wie jemand, der sein ganzes
Leben im Business-Anzug zugebracht hat. Jetzt, im Ruhestand, trug er dunkle,
steife Jeans und ein kariertes Flanellhemd, noch mit den Verpackungsknicks. Die
beiden obersten Knöpfe standen offen und enthüllten ein Stück seines weißen
Unterhemds. Warum wirken solche Männer in Freizeitkleidung so verletzlich? Er
hatte ein schmales Gesicht mit schwarzen, struppigen Augenbrauen und kurz
geschorenes weißes Haar. Er und Yolanda hatten nach fünfzig Ehejahren ein
Stadium erreicht, in dem sie eher wie seine Mutter denn wie seine Frau aussah.
    »Das nennt sich aktiver Ruhestand«,
sagte sie lachend. »Ich würde mich auch gern zur Ruhe setzen, aber ich war ja
nie berufstätig.« Ihr Ton war scherzhaft, die Bemerkung bitter. Der gespielte
Humor vermochte die Schärfe nicht recht zu überdecken. Sie stupste ihn an der
Schulter, offensichtlich erfreut, dass sie einen Grund hatte, ihn aufzustören.
»Da ist jemand für dich, Peter.«
    »Ich kann ja später noch einmal
wiederkommen. Sie brauchen ihn nicht zu wecken.«
    »Das macht ihm nichts aus. So schwer
hat er heute noch nicht gearbeitet.« Sie beugte sich dicht über ihn: »Peter.«
    Er schreckte hoch, desorientiert und
verstört ob der jähen Stimme an seinem Ohr.
    »Wir haben Besuch. Es geht um Isabelle
und David. Diese junge Dame hier ist Mr. Kingmans Sekretärin.« Sie wandte sich
in einem Anfall plötzlicher Besorgnis zu mir um. »Ich hoffe, das ist richtig.
Sie sind doch nicht selbst Juristin, oder?«
    »Ich bin Privatdetektivin.«
    »Sie sahen mir auch nicht wie eine
Juristin aus. Wie war doch gleich Ihr Name?«
    Mr. Weidmann legte sein Buch weg und
stand auf. Er hielt mir die Hand hin. »Peter Weidmann.«
    Wir begrüßten uns. »Ich bin Kinsey
Millhone. Tut mir Leid, dass ich Sie gestört habe.«
    »Das macht nichts. Möchten Sie einen
Kaffee oder eine Tasse Tee?«
    »Nein, danke, im Moment nicht.«
    Yolanda sagte zu ihm: »Es ist viel zu
kalt, um hier draußen zu sitzen.« Und dann zu mir: »Er hatte diesen Winter
schon zwei Infekte, und noch einmal will ich das nicht mitmachen. Ich war fix
und fertig von dem ganzen Gerenne und Gemache. Männer sind wie kleine Kinder,
wenn sie krank sind.« Dabei zwinkerte sie mir zu. Falls Peter sich ärgerte,
würde sie behaupten, sie hätte doch nur Spaß gemacht.
    »Ich fürchte, ich bin kein sehr
angenehmer Patient«, sagte er.
    »Das gehört ja auch nicht unbedingt zu
den Dingen, in die man seinen Ehrgeiz setzen sollte«, sagte ich.
    Er deutete in Richtung Haus. »Wir
können uns ja in meinem Arbeitszimmer unterhalten.«
    Wir marschierten als kleine Prozession
zurück ins Haus, wo es nach der feuchten Luft draußen beinahe stickig war. Das
Arbeitszimmer war klein, und die Möbel wirkten ähnlich heruntergekommen wie die
draußen auf der Terrasse. Ich hatte den Verdacht, dass das Haus in »seinen« und
in »ihren« Bereich aufgeteilt war. »Ihr« Teil war wohl ausgestattet — teuer,
überladen, voll gepfropft mit Dingen, die sie wahrscheinlich auf Reisen
zusammengesammelt hatten. Yolanda okkupierte das Wohnzimmer, das offizielle
Esszimmer, die Küche, das Frühstückszimmer und vermutlich auch sämtliche Bäder,
das Gästezimmer und das Schlafzimmer. Ihm ließ sie die hintere Terrasse und das
Arbeitszimmer, wo er sorgsam alles hortete, was sie wegzuwerfen drohte.
    Als wir das holzgetäfelte Arbeitszimmer
betraten, begann sie sofort, wegen des Zigarettengeruchs mit den Händen zu
wedeln und angeekelt das Gesicht zu verziehen. »Um Himmels willen, Peter, das
ist ja grässlich. Ich verstehe nicht, wie du das aushältst.« Sie ging zum
Fenster, stieß es auf und fächelte mit einer Zeitung, die sie sich gegriffen
hatte, Luft herein.
    Ich

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